Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Der Wille in der Natur^ 
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a tergo gedrängt, wir wollen leben, ohne zu wissen warum und wozu. 
Das Wollen als solches ist grundlos. Jede Aeußerung einer Natur 
kraft hat ihre Ursache, die Naturkraft selbst hat keine. Es ist mit 
dem Willen, wie mit der Kraft, denn die Kraft ist Wille: jeder Willens 
act hat seine Ursache, der Wille selbst hat keine. 
Was sich in der Körperwelt weder finden noch Herstellen läßt, ein 
perpetuum mobile, liegt in dem Dinge an sich: es ist der Wille zum 
Leben, der Lebenstrieb und Lebensmuth, kurzgesagt, die blin de Lebens 
lust. Wenn diese sinkt oder schwach wird, so entsteht in uns die 
Hypochondrie und Melancholie, die Schwermuth und der Trübsinn; 
wenn sie versiegt, so entsteht der Hang zum Selbstmord. Alle Er 
kenntniß ist secundär, und zwar ist sie unter den Früchten am Baume der 
Welt die späteste; der Wille zum Leben dagegen ist primär und zwar 
von den Wurzeln der Welt die tiefste. Noch genauer zu reden, ist die 
Erkenntniß nicht bloß secundär, sondern tertiär, denn sie ist ein Product 
des Organismus, dieser aber ist die Erscheinung, der unmittelbare 
Ausdruck des Willens zum Leben. 
Neuntes Capitel. 
Der Wille in der Natur. 
I. Die Metaphysik in nuce. 
In dem zweiten Buche des Hauptwerkes hatte Schopenhauer seine 
„erste Betrachtung der Welt als Wille" gegeben und darin seine Lehre 
von der Realität der Außenwelt und der Objectivation des Willens in 
jenen Gruudzügen dargethan, die wir im vorigen Capitel schon unter 
Hinzunahme einiger Abschnitte aus den „Ergänzungen" entwickelt haben. 
Er fühlte wohl, daß er gewisse Dunkelheiten der Sache nicht überall 
durch die Klarheit der Darstellung zu überwinden vermocht habe, und 
hat au einer Stelle, wo es sich um die Entstehung oder den Hervor 
gang der höheren Kräfte aus dem Streite der niederen handelte, diesen 
Mangel selbst ausgesprochen? Wie verträgt sich auch, könnte man 
schon hier fragen, die Entstehung höherer Kräfte mit der Ursprünglichkeit 
1 Die Welt als Wille u. s. f. § 27. S. 173.
	        
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