Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Die Lehre von der menschlichen Glückseligkeit. 261 
gebung erleben sollen, ohne uns die Gegenwort durch falsche Imaginationen 
verkümmern, aber auch ohne uns durch die Macht ihrer anschaulichen 
Eindrücke dergestalt beherrschen zu lassen, daß wir die Zukunft darüber 
vergessen. „Jede erträgliche Gegenwart, auch die alltägliche, welche 
wir jetzt so gleichgültig vorüberziehen lassen und wohl gar noch un 
geduldig nachschieben, sollten wir in Ehren halten, stets eingedenk, daß 
sie eben jetzt hinüberwallt in jene Apotheose der Vergangenheit, woselbst 
sie fortan, vom Lichte der Unvergänglichkeit umstrahlt, vom Gedächtnisse 
aufbewahrt wird, um, wenn dieses einst, besonders zur schlimmen 
Stunde, den Vorhang lüftet, als ein Gegenstand unserer innigen 
Sehnsucht sich darzustellen." 
2. Die Geselligkeit. 
In unserem Verhalten gegen andere bedürfen wir eines großen 
Vorraths von Vorsicht und Nachsicht, um durch jene den Fallen, 
die uns überall auflauern, durch diese den Händeln lind Streitigkeiten 
zu entgehen, die leicht erregt und stets zum Ausbruch bereit sind. 
Denn die Menschen sind von Natur Feinde. „Die Wilden fressen 
einander, die Zahmen betrügen einander: das nennt man den Welt 
lauf." Daher ist es gerathen, im Verhalten gegen andere auf der 
äußersten Hut zu sein und sich in den geselligen Verkehr so wenig 
wie möglich einzulassen. Weder lieben noch hassen ist die eine Hälfte 
der Weltklugheit; nichts sagen und nichts glauben, ist die andere? 
Schweigen ist Gold. Und cs ist eine goldene Regel der Lebens 
weisheit, die in unserem Verhalten gegen andere die Schweigsamkeit 
empfiehlt. „Was dein Feind nicht wissen soll, das sage deinem Freunde 
nicht." „Am Baume des Schweigens hängt die Frucht: Friede." So 
lauten arabische Sprüchwörter. Schweigsamkeit und Höflichkeit sind 
in unsrem Verkehr mit andern sehr empfehlenswerthe Eigenschaften, 
da jene zu unserer Verborgenheit dient, und diese in Rechenpfennigen 
besteht, mit denen man nicht sparsam umzugehen braucht? 
Gleiches wird durch Gleiches erkannt. Wenn ein Mann wie 
Schopenhauer gesellig verkehrt, so kann er von den andern nur ge 
würdigt werden, so weit er ihnen gleicht, d. h. er wird als Mitmensch 
gewürdigt, als ein Mensch ihrer Art, als ein gemeiner Mensch. Er 
1 Ebendas. V. Paränesen und Maximen. S. 443. — 2 Ebendas. G. S. 472. 
Vgl. ebendas. S. 484 und 496. — 2 Ebendas. S. 492 und 496.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.