Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Anschauungen und Begriffe. 
223 
8. Rhetorik. Die alten Sprachen, die deutsche Sprache. 
Noch ein anderes, sehr wirksames Mittel der Ueberredungskunst, 
welches Schopenhauer erst in den „Ergänzungen" hervorhebt und durch 
die Hinweisung auf die berühmte Antoniusrede exemplificirt, besteht 
darin, daß man die Schlüsse gleichsam verdeckt vorbringt und erst ent 
hüllt, wenn die Gemüther genugsam vorbereitet sind, um entzündet zu 
werden. Die Sache des Antonius war verloren, wenn er sogleich er 
klärt hätte, er wolle beweisen, daß Brutus Unrecht habe, und Cäsar 
nicht herrschsüchtig war. In Aussprüchen, denen niemand anhört, was 
für gewichtige, unheildrohende Prämissen diese scheinbar harmlosen 
Sätze sind, beginnt er den Cäsar zu schildern, wie treu und gerecht er 
in der Freundschaft gewesen, ohne Habsucht als Staatsmann, voller Mit 
leid mit den Armen u. s. f. Nachdem er durch solche Schilderung die 
Menge gerührt hat, mag sie sich selbst den Schluß ziehen und die Frage 
beantworten: „Sah das der Herrschsucht wohl am Cäsar gleich?" * 
In der Ausübung der echten Redekunst, insbesondere der wissen 
schaftlichen, in der Behandlung der Sprache, der Deutlichkeit, Einfach 
heit und Kürze des Ausdrucks preist Schopenhauer das Vorbild und 
die Schule der Alten; er beklagt, daß die lateinische Sprache aufgehört 
habe, die Weltsprache zu sein, und die Nationallitteraturen an die 
Stelle der Weltlitteratur getreten sind. Die Erlernung der alten 
Sprachen, die gründliche Beschäftigung mit ihren Werken sei die 
alleinige Grundlage aller ächten, wahren Erziehung und Bildung, nicht 
bloß der gelehrten, sondern auch der rein menschlichen. Unsere historische 
Vergangenheit wurzele in den rohen, vom Pfaffen- und Ritterwesen 
beherrschten Bildungszuständen des Mittelalters, von denen uns erst 
die Renaissance befreit und wieder zu Menschen gemacht habe. 
„Sehr passend nennt man die Beschäftigung mit den Schriftstellern 
des Alterthums Humanitätsstudien: denn durch sie wird der Schüler 
zuvörderst wieder ein Mensch, indem er eintritt in die Welt, die noch 
rein war von allen Fratzen des Mittelalters und der Romantik, welche 
nachher in die Europäische Menschheit so tief eindrangen, daß auch 
noch jetzt jeder damit betüncht zur Welt kommt und sie erst abzustreifen 
hat, um nur zuvörderst wieder ein Mensch zu werden." „Ohne die 
Schule der Alten wird euere Litteratur in gemeines Geschwätze und 
platte Philisterei entarten!" 
* Die Welt als Wille u. s. w. Bd. II. Cap. II: Zur Rhetorik. S. 130.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.