Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

und die sinnliche Anschauung. 
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Pflanze am nächsten steht, der Polyp, wenn er mit seinen Armen 
seinen Raub ergreift und ihn zum Munde führt, hat ihn (wiewohl 
noch ohne gesonderte Augen) gesehen, Wahrgenomnien, und selbst zu 
dieser Anschauung wäre es nimmermehr ohne Verstand gekommen: das 
angeschaute Object ist das Motiv der Bewegung des Polypen. — 
Ich würde den Unterschied zwischen unorganischem Körper, Pflanze und 
Thier also festsetzen: Unorganischer Körper ist dasjenige, dessen 
sämmtliche Bewegungen aus einer äußeren Ursache geschehen, die, dem 
Grade nach, der Wirkung gleich ist, so daß aus der Ursache die Wir 
kung sich messen und berechnen läßt, und auch die Wirkung eine völlig 
gleiche Gegenwirkung in der Ursache hervorbringt. Pflanze ist, was 
Bewegungen hat, deren Ursache durchaus nicht dem Grade nach den 
Wirkungen gleich sind und folglich nicht den Maßstab für letztere 
geben, auch nicht eine gleiche Gegenwirkung erleiden: solche Ursachen 
heißen Reize. Nicht bloß die Bewegungen der sensitiven Pflanzen und 
des hedysarum gyrans, sondern alle Assimilation, Wachsthuni, Neigung 
zum Licht u. s. w. der Pflanzen ist Bewegung auf Reize. Thier 
endlich ist das, dessen Bewegungen nicht direct und einfach nach dem 
Gesetz der Causalität, sondern nach dem der Motivation erfolgen, welche 
die durch das Erkennen hindurchgegangene und durch dasselbe vermittelte 
Causalität ist: nur das ist folglich Thier, was erkennt, und das Er 
kennen ist der eigentliche Charakter der Thierheit."* 
II. Die Sinnesempfindungen. 
1. Die Sinnesarten. 
Die Sinne sind die gesteigerten Sitze der Sensibilität, sie sind 
Modificationen der über den ganzen Leib verbreiteten Fähigkeit zu 
fühlen und als solche gleichsam mannichfaltige Arten des Tastsinnes. 
Die Verschiedenheit der Sinnesempfindungen liegt nicht in den Nerven, 
deren Beschaffenheit und Structur völlig gleichartig ist, auch nicht in 
der Leitung und Fortpflanzung ihrer Erregungszustände, sondern in 
den Einwirkungen von außen und der ihnen entsprechenden Einrichtung 
der Sinnesorgane? 
* Vom Sehn. § 1. (33b. I. S. 17-18.) Die Welt, als Wille und Vorstellung. 
Bd.I. § 6. Vgl. oben Buch II. Cap. I. S. 160 ff. - - Die Welt als Wille 
und Vorstellung. Bd. II. Cap. 3: Ueber die Sinne. 
Fischer, Gesch. d. Philos. IX. 2. Ausl. N. A. 
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