Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

174 Propädeutik. Der Satz vom zureichenden Grunde. 
nach dem treffenden Ausdruck der christlichen Anschauungsweise „unsere 
Zeitlichkeit", denn die Zeitlichkeit ist der Urtypus alles Endlichen. 
Jener gemeinsame Ursprung der vier Arten des Satzes vom 
Grunde darf aber keineswegs so aufgefaßt werden, als ob er der Ur 
grund der Gründe, „der Grund schlechthin" wäre, der sich zu den vier 
Arten verhalte, wie das Allgemeine zum Besonderen. Eine solche Auf 
fassung erklärt Schopenhauer ausdrücklich für ungültig und falsch. 
„Obgleich die vier Gesetze unseres Erkenntnißvermögens, deren gemein 
schaftlicher Ausdruck der Satz vom zureichenden Grunde ist, durch ihren 
gemeinsamen Charakter und dadurch, daß alle Objecte des Subjects 
unter sie vertheilt sind, sich ankündigen als durch eine und dieselbe Ur- 
beschaffenheit und innere Eigenthümlichkeit des als Sinnlichkeit, Verstand 
und Vernunft erscheinenden Erkenntnißvermögens gesetzt; — so dürfen 
wir dennoch nicht von einem Grunde schlechthin sprechen, und es 
giebt so wenig einen Grund überhaupt, wie einen Triangel über 
haupt, anders als in einem abstracten, durch discursives Denken ge 
wonnenen Begriff, der als Vorstellung aus Vorstellungen nichts weiter 
ist, als ein Mittel Vieles durch Eines zu denken." „Sollte dennoch 
jemand hierüber anders denken und meinen, Grund überhaupt sei 
etwas anderes, als der aus den vier Arten der Gründe abgezogene, 
ihr Gemeinschaftliches ausdrückende Begriff: so könnten wir den Streit 
der Realisten und Nominalisten erneuern, wobei ich in gegenwärtigem 
Fall auf der Seite der letzteren stehen müßte." x 
Wir hören den Philosophen Berkeley reden, der seinen Nominalismus 
ebenfalls an der Unmöglichkeit und Unvorstellbarkeit eines Triangels 
schlechthin demonstrirt hat. 1 2 
Worin aber besteht das von aller Zeitlichkeit unabhängige und 
ewige Wesen? Dies ist die metaphysische Frage und der Drang sie zu 
lösen „das metaphysische Bedürfniß", dessen Begründung und Dar 
legung im zweiten Bande des Hauptwerks einen der tiefsinnigsten und 
schönsten Abschnitte bildet. 
1 Ebendas. Cap. VIII. § 52 (Schluß). — Ich citire die Seitenzahlen nach 
Frauenstädts Gesammtausgabe (1878), womit man Grisebachs Gesammtausgabe 
nach der von ihm gegebenen Anweisung (Bd. VI. S. 386) vergleichen möge. 
2 Vgl. Mein Werk: Francis Bacon und seine Nachfolger. Entwicklungs 
geschichte der Erfahrungsphilosophie. Zweite völlig umgearb. Aufl. (Lpg. 
F. A. Brockhaus 1875.) ' Buch III. Cap. XII. S. 763-765.
	        
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