Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Propädeutik. 
2. Die Enthüllung der Kraft. Der Grundstein der Metaphysik. 
Auch in der Körperwelt wirken Kräfte, die uns aber verborgen 
bleiben müssen, so lange wir dieselbe von außen betrachten oder an 
schauen: daher für die Betrachtungsart des Verstandes, d. h. für 
unsern Jntellect die Naturkräfte «qualitates occultae» sind und 
bleiben. Wir erkennen, wo und wie sie erscheinen, unter welchen Be 
dingungen sie eintreten, worin ihre Wirkungsart besteht, wir erkennen 
ihre Ursachen, Wirkungen und Gesetze, aber nicht sie selbst. Dagegen 
die Kraft, die in uns selbst wirkt, erkennen wir ganz unmittelbar, da 
wir sie nicht von außen, sondern von innen betrachten und gar nicht 
anders betrachten können. Diese Kraft ist unser eigenes Wesen. Diese Kraft 
sind wir selbst. Hier ist zwischen dem erkennenden Subject und dem 
erkannten Object nichts, wodurch, wie in der Anschauung der Körper, 
uns verhüllt bleibt, was im Innern des Gegenstandes vorgeht. Die 
Materie.ist gleichsam der Schleier, der uns das Bild von Sais verhüllt. 
In unseren Handlungen herrscht die Causalität mit derselben un 
ausbleiblichen Nothwendigkeit, wie im Stoß der Körper, aber es sind 
nicht äußere, sondern innere Ursachen, d. h. Beweggründe oder Motive, 
die den Willen zwingen, so und nicht anders zu handeln. Die Ver 
ursachung des Wollens heißt „Motivation". Hier treten wir hinter 
die Coulissen und erkennen nicht bloß die Ursache, sondern auch die 
Kraft: „die Motivation ist die Causalität, von innen gesehen". Das 
in der Materie verschleierte Bild enthüllt sich im Selbstbewußtsein. 
Wie alle Veränderungen ihre Ursachen haben, so auch unsere 
Handlungen: der Satz vom zureichenden Grunde in dieser Gestalt ist 
„das Gesetz der Motivation". Wie sich das Gesetz der Motivation zu 
dem der Causalität verhält, so verhält sich die in uns wirkende Kraft 
zu der in der Materie wirksamen. Die Motivation ist ebenfalls 
Causalität: also ist die in uns wirkende Kraft dieselbe als die in der 
Materie wirkende und umgekehrt, d. h. die Naturkraft ist Wille. 
„Diese Einsicht", sagt Schopenhauer, „ist der Grundstein meiner ganzen 
Metaphysik." 
3. Wollen und Erkennen. 
Die Motive unterscheiden sich von den anderen Arten der Causa 
lität, den Ursachen und Reizen, dadurch, daß sie die durch die Erkennt 
niß sbeim Menschen durch Verstand und Vernunftjj hindurchgegangene 
* Ebendas. § 43.
	        
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