Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Der Satz vom zureichenden Grunde. 
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geschehen. Auf dem bloß logischen Wege gelangen wir im Gebiete der 
geometrischen Wahrheiten nur zur Ueberführung (convictio), nicht zur 
wirklichen Einsicht (cognitio). 1 
V. Die Motivation. 
1. Die Identität von Subject und Object. Der Weltknoten. 
Unser Vorstellungsverinögen zerfällt in Subject und Object, die 
untrennbar zusammengehören, so daß folgende Gleichungen gelten: 
Object sein — vorgestellt sein — von einem Subject erkannt werden; 
Subject sein — Objecte haben. Dem Object gehören eigenthümliche 
Beschaffenheiten, dem Subject eigenthümliche Erkenntnißkräfte.. Nun 
aber hat das Subject zu seinem Gegenstände nicht bloß Körper und 
deren Zustände, nicht bloß Begriffe und Urtheile, nicht bloß Figuren 
und Zahlen, sondern auch sich selbst. 
Subject und Object sind Correlata. Der Körperwelt entspricht 
von seiten des Subjects der Verstand, den Begriffen und Urtheilen die 
Vernunft, den Zeit- und Raumgrößen die reine Sinnlichkeit, der Vor 
stellung des eigenen Wesens das Selbstbewußtsein. Hier ist das Subject 
beides zugleich: sowohl das erkennende als auch das erkannte Wesen. 
Was ist das erkannte Subject? 
Unmöglich kann dieses wiederum das erkennende Subject selbst 
sein, denn es giebt kein Erkennen des Erkennens, weil dieses dann sich 
selbst zur Voraussetzung haben müßte und darum nie zu Stande 
kommen könnte. Der Gegenstand unseres Selbstbewußtseins ist nicht 
das erkennende, sondern das wollende Subject: wir finden oder er 
kennen uns selbst ganz unmittelbar als wollende, in allen möglichen 
Graden des Wollens vom leisesten Wunsch bis zur stärksten Leiden 
schaft begehrende Wesen. Alle Bewegungen unseres Innern sind 
Willenszustände. 
Mit dem Worte „Ich" bezeichnen wir das Selbstbewußtsein, die 
Identität von Subject und Object, d. h. die Identität des erkennenden 
und wollenden Subjects, die als solche grundverschieden sind. Wie 
beide, so grundverschieden sie sind, dennoch identisch sein können: diese 
Frage enthält den „Weltknoten", welchen die Philosophie auflösen soll. 
Die Thatsache dieser Identität ist „das Wunder katexochen"? 
1 Ebendas. Cap. VI. § 35-39. Es war § 89, der Goethes Aufmerksamkeit 
erregt hat. — 2 Ebendas. Cap. VII. § 40—42.
	        
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