Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Schopenhauers Charakter. 
* S. oben Cap. II. S. 32. 
Zeit und Raum und die vom intelligiblen und empirischen Charakter 
als dessen größte Leistungen zu bezeichnen, nannte er sie „die beiden 
großen Diamanten in der Krone des kantischen Ruhms". Nie würden 
solche Bilder aus Kants Feder geflossen sein! 
Es ist ja ganz natürlich, daß seine Genieproducte mit ihrer an 
schaulichen Klarheit, ihrer eindringenden Kraft, ihrer „stechenden Deut 
lichkeit" auch angeschaut sein, in den Geist der Menschen eindringen, 
dem Jntellect derselben in die Augen stechen wollten, wie die Statuen 
und Bilder, die aus den Werkstätten der Bildhauer und Maler her 
vorgehen; es war ganz natürlich, daß Schopenhauer als der geniale 
Künstler, der er sein wollte und war, nach Ruhm und Unsterblichkeit 
trachtete. Aber daß dieser Pessimist, der nicht Menschenhasser, sondern 
„Menschenverächter" sein und heißen wollte, nach der Anerkennung der 
Menschen lechzte und in brennendem Durste darnach sich Jahre und 
Jahrzehnte lang förmlich verzehrt hat: das war und blieb ein schreiender 
Widerspruch. 
Man sage nur nicht, daß er ein Pessimist wurde, weil er 
unbeachtet blieb, er war es ja nach seinem eigenen Bekenntniß schon 
völlig, als er in seinem vierundzwanzigsten Jahre noch keine Zeile für 
den Druck geschrieben hatte. Ein solcher Pessimist hätte das verachtete 
Geschlecht unbelehrt lassen und mit erhabener Gleichgültigkeit sehen 
sollen, daß die vergeblichen Versuche, die er gemacht hatte, in der 
Papiermühle verschwanden. Aber Schopenhauer gerieth darüber außer 
sich. Dann versuchte er sein Glück von neuem und hegte immer 
wieder die zuversichtliche unversiegbare Hoffnung, es müsse gelingen, 
er werde durchbrechen. Und es gelang. 
Die Genies sind eben keine Pessimisten, und wenn sie es tausend 
mal versichern; denn sie müssen schaffen und hoffen. Es bleibt bei 
dem Worte, welches ihm Goethe den 8. Mai 1814 in sein Stamm 
buch geschrieben hatte (sein Stammbuch bestand aus diesem einzigen 
Blatte): „Willst du dich deines Werthes freuen, so mußt der Welt 
du Werth verleihen"? Während Schopenhauer der größte Welt- und 
Menschenverächter war, ließ er sich durch die Scheinwerthe der Welt 
blenden. Was sagt doch gleich der Kater in der Hexenküche von der 
Welt, jener großen Kugel, mit der die Meerkätzchen spielen? „Hier 
glänzt sie sehr und hier noch mehr!" Sollte man glauben, daß diese
	        
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