Schopenhauers Charakter.
127
Die vier activen Apostel, die er in seinem Testamente mit persönlichen
Andenken bedacht hatte, waren Frauenstädt, Lindner, Asher und Bahr.
Gwinner erbte die Bibliothek, Frauenstädt erhielt den Löwenantheil:
die Werke, die Handexemplare und die Mannscripte.
Das baare Geld und die Werthpapiere hatte er an den verborgensten
Orten, wo niemand solche Dinge sucht, versteckt und dieselben in
lateinischer Sprache in seinem Testamente bezeichnet? Sogar das Schreib
pult sollte in alle seine Theile sorgfältig zerlegt werden, so daß
kein Brett mehr mit einem andern zusammenhinge. «Hoc igitur
coram testibus idoneis fieri jubeo omnibusque injungo.»
Als er gefragt wurde, wo er begraben sein wolle, antwortete
er: „Es ist einerlei, sie werden mich finden". Seine Grabschrift
heißt: „Arthur Schopenhauer".
Achtes Capitel.
Schopenhauers Charakter.
I. Das Problem.
Als Goethe in seinen Annalen den letzten Besuch Schopenhauers im
August 1819 erwähnte, nannte er ihn einen „meist verkannten, aber auch
schwer zu kennenden, verdienstvollen jungen Mann"? Einen schwer zu
kennenden! Versuchen wir, dieses Problem etwas näher zu kennzeichnen
und, wenn es möglich ist, zu lösen. Ob Schopenhauer selbst sich richtig ge
kannt hat? Als einmal irgend ein Aufseher ihn fragte, wer er sei, habe er
geantwortet: „Wenn Sie mir das sagen könnten!" In einer vorzüglichen
Ausführung, die auch Goethes Aufmerksamkeit, wie es scheint, wohlgefällig
erregt hat, hat Schopenhauer im letzten Buch seines Hauptwerks den
1 Er hatte sein ererbtes Baarvermögen mehr als verdoppelt; das hinter
lassene belief sich auf 70000 rheinische Gulden, nachdem er bei drei Gesellschaften
in Paris, London und Berlin sich Leibrenten gekauft hatte. Legate erhielten: eine
Berliner Theaterdame (Fräulein Medon), mit welcher Schopenhauer in früheren
Zeiten zarte Beziehungen unterhalten hatte (s. oben S. 67), seine Haushälterin
und der Pudel: dieser erhielt 300 Gulden jährlich. Grisebach: Lebensgeschichte Sch.
S. 255flgd. — 2 Vgl. meine Charakteristik: Arthur Schopenhauer: ein Charakter-
problem. Beil. z. Allg. Zeitg. 1892. Nr. 195, 197. — S. oben Cap. I. S. 16—19.