Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Die Bismarckzeit 
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die guten Dienste der englischen Regierung zur Wiederherstellung 
des gestörten Vertrauens anbieten und auch in Rom und in Peters 
burg in ähnlichem Sinne wirken. 
Damals weilte gerade Kaiser Alexander II. in Begleitung des 
Fürsten Gortschakow in Berlin. Zwischen den Monarchen ergab 
sich dabei eine weitgehende Übereinstimmung der Ansichten, und 
auch Fürst Gortschakow gewann alsbald die Überzeugung, daß zu 
einer kriegerischen Beunruhigung kein Anlaß vorliege. Bismarck 
sei „vollkommen friedfertig“. Trotzdem gab sich Gortschakow in 
einer Zirkulardepesche vom 13. Mai 1875 den Anschein, als wenn 
die Erhaltung des europäischen Friedens seinem Besuche in Berlin 
zu verdanken sei 1 . Hieraus entwickelte sich eine schwere Verstim 
mung Bismarcks gegen Gortschakow persönlich und gegen die 
Leitung der russischen Politik allgemein. Für Bismarck blieb ferner 
infolge der englischen Einmischung der peinliche Eindruck be 
stehen, daß das englische Ministerium die europäischen Kabinette 
gleichzeitig gegen Deutschland einzunehmen und in gemeinsame 
Tätigkeit zu setzen versucht habe. Lord Derby erklärte, er bedauere 
die momentane Verstimmung Deutschlands und hoffe, daß die guten 
Beziehungen zwischen beiden Ländern sich bald wiederfinden 
würden 1 2 . Dem Fürsten Gortschakow aber verdachte es Bismarck 
nachhaltig, daß er sich auf Kosten und zum Nachteil eines seit 
25 Jahren bewährten Freundes Rußlands einen vorübergehenden 
äußerlichen Erfolg hatte verschaffen wollen. Bismarck war offen 
genug, ihm dies durch den neuen Petersburger Botschafter 
v. Schweinitz andeuten zu lassen 3 . Sein Vertrauen zur Leitung der 
russischen Politik war dahin. Hieraus entwickelte sich in Verbin 
bindung mit den Vorgängen im Nahen Orient seine allmähliche Ab 
kehr von Rußland und die Annäherung an Österreich-Ungarn. 
Balkankrisen und russisch-türkischer Krieg 
Fragen des Nahen Orients, also hauptsächlich des Balkan, haben 
— wie schon vorher — so ganz besonders vom Sommer 1875 ab 
die europäische Politik der Großmächte maßgebend beeinflußt. So 
lange die Türkei ein gut regierter Staat war und über hinreichende 
selbständige Machtmittel verfügte, gelang es ihr unschwer, die 
unruhigen Völkerschaften des Balkans niederzuhalten. Mit dem zu 
nehmenden Verfall der Türkei wuchs die Selbständigkeit der Balkan 
völker und ihr Bestreben, sich der türkischen Oberherrschaft immer 
mehr zu entwinden. Bei wachsender Selbständigkeit gerieten sie 
1 Gr. Pol. Nr. 182. 
2 Gr. Pol. Nr. 191. 
3 Gr. Pol. Nr. 193.
	        
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