Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Deutschlands Vereinsamung. 1902—1914 
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Falle eines ausbrechenden Balkan- und Weltbrandes sich gegen 
seitig unterstützen und gemeinsam für die Eindämmung des Feuers 
eintreten sollten. Der plötzliche Ausbruch des Tripoliskonfliktes 
machte auf den Kaiser einen tiefen Eindruck und löste bei ihm 
sofort Erwägungen aus, wie man einen Weltkrieg vermeiden 
könne 1 . Für eine Entente mit Frankreich war aber eine Möglichkeit 
nicht gegeben. 
Anfangs Oktober beeilte sich Italien, in Tripolis eine voll 
endete Tatsache zu schaffen, bombardierte am 3. Oktober die Stadt, 
besetzte sie am 5. und dehnte die Besetzung in den kommenden 
Wochen zunächst auf die Küstenplätze aus. Die Türkei, die sich 
dauernd um eine Vermittlung des deutschen Kaisers bemühte, ließ 
schon am 8. Oktober in Berlin ihren Wunsch erklären, auf neuer 
Grundlage Friedensverhandlungen zu eröffnen, da der Augenblick 
für eine wirksame Vermittlung gekommen sei. Deutscherseits hatte 
man schon anfangs Oktober erwogen, ob nicht der baldige Abschluß 
eines Waffenstillstandes möglich sei. In Italien bestand aber nur 
wenig Geneigtheit, auf die Anwendung kriegerischer Mittel zu ver 
zichten. Deutschland sah sich daher genötigt, neutral zu bleiben. 
Seine Parteinahme für die Türken hätte nicht nur den Dreibund ge 
sprengt, sondern auch Italien in die Arme des Dreiverbandes ge 
trieben. Da die Großmächte uneinig waren, England insbesondere 
den Zeitpunkt für Vermittlungsversuche noch nicht für gekommen 
erachtete, gingen die Dinge zunächst ihren Gang, bis am 4. Novem 
ber, dem Tage des Abschlusses des Marokkoabkommens, Italien den 
Mächten die Besitznahme von Tripolis und der Cyrenaika, also die 
endgültige Annexion 1 2 , mitteilte. 
Die Mächte nahmen diesen Schritt ziemlich einmütig auf: sie 
hielten ihn für verfrüht und den tatsächlichen Verhältnissen in Tri 
polis nicht entsprechend. Für Italien war es nämlich schwierig, einen 
so entscheidenden Druck auf die Türkei auszuüben, daß sie zum 
Nachgeben gezwungen wurde. Einer Ausdehnung des Kriegsschau 
platzes, wie sie die italienische Presse mit steigendem Nachdrucke 
forderte, um die Türkei zum Frieden zu zwingen, stand aber die 
Abneigung der Mächte entgegen, eine noch weitere Ausdehnung des 
Brandes zuzulassen. Hiergegen wehrte sich besonders Österreich- 
Ungarn, das Feindseligkeiten im Adriatischen Meere nicht dulden 
wollte. Aber auch in Rußland wünschte man eine Ausdehnung des 
italienischen Kriegsschauplatzes nicht. Ganz Europa werde durch die 
italienische waghalsige Politik in Atem gehalten, äußerte der rus 
sische Botschafter in Wien, v. Giers, am 20. November 1911, und ein 
Angriff der italienischen Flotte auf die Dardanellen könne unbe 
1 Gr. Pol. Nr. 10 844. 
a Gr. Pol. Nr. 10918.
	        
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