Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Deutschlands Vereinsamung. 1902—1914 
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Franzosen einwirken, damit sie Deutschlands berechtigte Forde 
rungen annähmen, durch die englische Interessen in keiner Weise 
beeinträchtigt würden. Mit diesen deutlichen Worten wollte der 
Kaiser den Gerüchten den Boden entziehen, daß in der Marokko 
frage Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem Reichs 
kanzler beständen. 
England traf damals tatsächlich Kriegsvorbereitungen, über die 
der deutsche Militärattache in London, Major Ostertag, wiederholt 
berichtete. Schon am 20. Juli hatte, wie wir jetzt aus dem französi 
schen Generalstabswerk über den Weltkrieg erfahren haben, im 
französischen Kriegsministerium eine Konferenz zwischen dem Direk 
tor der militärischen Operationen im englischen Generalstabe, Ge 
neral Wilson, und dem französischen Generalstabschef Dubail statt 
gefunden, wobei man sich über die Zusammensetzung der englischen 
Landungsarmee, über ihren Antransport und Aufmarsch weitgehend 
verständigte. In London tagte am 23. August der Reichs Verteidi 
gungsausschuß in geheimer Sitzung, wie überhaupt eine fieberhafte 
Tätigkeit der Militär- und Marinebehörden einsetzte, um für den 
Ausbruch eines Krieges gerüstet zu sein 1 . Aus Paris erstattete der 
Militärattache Major v. Winterfeldt mehrere Berichte über die dorti 
gen militärischen Vorgänge. Seiner Überzeugung nach war die deut 
sche Armee der französischen, besonders auch als Ganzes betrachtet, 
erheblich überlegen. Um so stärker betonte die französische Presse 
die Kriegsbereitschaft Frankreichs. Dem Zusammentreffen des fran 
zösischen Generalstabschefs Dubail mit dem russischen Generalstabs 
chef Shilinsky in Krasnoje Selo am 31. August 1911 kam unter diesen 
Umständen eine besondere Bedeutung zu. Man einigte sich dort über 
ein ausführliches Protokoll 1 2 , in dessen Artikel 1 die Niederlage der 
deutschen Heere unter allen Umständen als das erste und hauptsäch 
lichste Ziel der verbündeten Armeen bezeichnet wurde. Im Artikel 2 
hieß es: „daß die Mobilmachung des deutschen Heeres Rußland und 
Frankreich verpflichtet, sofort und gleichzeitig alle ihre Streitkräfte 
bei der ersten Nachricht hiervon mobilzumachen, ohne daß es einer 
vorhergehenden Verabredung bedarf, aber daß ihnen eine solche 
Verabredung unentbehrlich erscheint, falls nur von Österreich oder 
Italien teilweise oder selbst allgemein mobilgemacht wird“. Beide 
Generalstabschefs rechneten damit, daß Deutschland im Kriegsfälle 
den größten Teil seiner Streitkräfte gegen Frankreich richten und nur 
ein Minimum an Truppen gegen Rußland belassen werde. 
In Deutschland hat man selbst während der schärfsten Krisen 
zeit an der Auffassung festgehalten, daß der Friede zwischen 
1 Gr. Pol. Nr. 10652. 
2 Der Diplomatische Schriftwechsel Iswolskis 1911—1914. Herausgegeben von 
Friedr. Stieve. Berlin, Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte, 
1924. Bd. 1, S. 137ff.
	        
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