Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Das Jahr 1909 
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die wir nicht sprengen konnten, dadurch zu beseitigen, daß dem 
Zweibunde der englische Kredit für seine antideutsche Politik ge 
schmälert wurde. Der Kaiser trat dieser Auffassung lebhaft bei und 
bezeichnete die dadurch gegebene Politik als die einzig mögliche. 
Es ist bei uns in Deutschland schon zur Gewohnheit geworden, 
in der Person des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg den eigent 
lich Schuldigen für den Ausbruch des Weltkrieges und sogar für 
seinen Verlauf zu erblicken. Wenn man die Lage Deutschlands im 
Sommer 1909 ganz vorurteilsfrei betrachtet, dann wird man doch 
zu der Überzeugung kommen, daß sie damals eine höchst gefahrvolle 
war. Für diesen Stand der Dinge trug nach den Untersuchungen des 
Professors Erich Brandenburg, eines der besten Kenner des deut 
schen Aktenwerkes, in der Hauptsache Bülow die Schuld. „Er hatte 
unter dem Einflüsse Holsteins das englische Bündnis zu schließen 
versäumt und die Verständigung mit Frankreich von der Hand ge 
wiesen, er hatte durch die zweideutige und eigensinnige Marokko 
politik die Westmächte näher zueinander getrieben; er hatte die 
utopische Kontinentalpolitik des Kaisers mitgemacht, sich schließ 
lich für den verhängnisvollen Grundsatz der unbedingten Vertre 
tung von Österreichs Orientpolitik gewinnen lassen, und als ihm 
Bedenken gegen die von Tirpitz inspirierte Flottenpolitik des Kaisers 
aufstiegen, diese nicht mit voller Energie geltend gemacht. Die Po 
litik der versäumten Gelegenheiten, für die er vor der Welt die Ver 
antwortung trägt, hatte Deutschland in eine Lage gebracht, deren 
Schwierigkeit er schon gelegentlich empfand, aber noch nicht im 
vollen Maße erkannte. Scheinbar hinterließ er das Reich in gesicher 
ter Stellung, in Wahrheit in einer höchst gefahrvollen Lage, deren 
Überwindung die größte Vorsicht, Geschicklichkeit und Tatkraft 
erfordert hätte 1 .“ 
Das Jahr 1910 
Die Entwicklung auf dem Balkan bestimmte auch im Jahre 1910 
in hohem Maße die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Groß 
mächten. Auf der Seite Österreich-Ungarns und Deutschlands 
herrschte der Wunsch, die offenbar wieder erstarkende Türkei an die 
Mittelmächte heranzuziehen, der um so berechtigter schien, als die 
Türkei selbst schon seit November 1909 auf eine Militärkonven 
tion mit Österreich-Ungarn hinzuwirken begann. Kaiser Wilhelm II. 
befürwortete mindestens militärische Abmachungen von General 
stab zu Generalstab. Der damals in der Türkei befindliche General 
oberst Frhr. v. der Goltz hielt aber die Zeit zum Abschlüsse von 
Bündnissen oder Militärkonventionen mit der Türkei noch nicht 
für gekommen. Kaiser Wilhelm und der Erzherzog-Thronfolger 1 
1 Von Bismarck zum Weltkriege. 2. Auflage. S. 309.
	        
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