Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Deutschlands Vereinsamung. 1902—1914 
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nung zurückgehalten. Eine heimliche, unausgesprochene Sorge vor 
neuen Konflikten und Verantwortungen, die er etwa tragen solle, 
war über ihn gekommen-“ 
Mit dem „Novembersturm“, der die Stellung des Reichskanzlers 
Fürsten Bülow dem Kaiser gegenüber innerlich doch endgültig er 
schütterte und im weiteren Verlaufe seine Entlassung und die Be 
rufung Bethmann Hollwegs zur Folge hatte, tritt die deutsche Ge 
schichte der Vorkriegszeit in ihr letztes entscheidendes Stadium. Bis 
her hatte der Kaiser in festem Glauben an sein Können und an die 
Wirkung seiner persönlichen Politik einen, wenn auch sicherlich nicht 
immer endgültig maßgebenden, so doch in vielen Fällen bestimmen 
den Einfluß auf die Führung der deutschen Außenpolitik ausgeübt. 
Durch die Vorgänge bei dem Novembersturm bereitete sich bei 
dem Monarchen eine Zurückhaltung von den amtlichen Geschäften 
vor, die jedenfalls nicht im Sinne der von Bismarck gedachten und 
geschaffenen Reichsverfassung gelegen hat. „Unter dem äußeren 
Mantel seines alten Selbstbewußtseins hat er sich von da ab mehr 
und mehr eine Zurückhaltung auferlegt, die vielfach noch hinter den 
durch seine verfassungsmäßige Stellung gezogenen Grenzen zurück 
blieb. Im Kriege führte ihn diese Selbstbescheidung fast bis zur 
völligen Ausschaltung seiner Person gegenüber den operativen und 
organisatorischen Maßnahmen des Chefs des Generalstabes 1 .“ So 
ist es schließlich dahin gekommen, daß im Weltkriege von dem 
Triumvirat zwischen Monarchen, politischem und militärischem 
Führer in einer Person, wie es sich als Idealzustand in den Kriegen 
des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatte, nicht mehr gesprochen 
werden konnte. Den Ausgangspunkt für diese Entwicklung haben 
wir in den Vorgängen von 1908 zu suchen, wobei auch die tiefe 
menschliche Enttäuschung des Monarchen über die Vorgänge des 
Prozesses Moltke—Harden—Eulenburg von 1907 nicht außer Be 
tracht bleiben darf. 
Ein sehr gerechtes Urteil über die außenpolitische Wirkung der 
„Daily Telegraph“-Affäre hat damals der belgische Gesandte in 
Berlin, Baron Greindl, abgegeben. „Deutschlands Bedeutung in den 
internationalen Angelegenheiten wird dadurch vermindert“, berich 
tete er am 14. November 1908 nach Brüssel. „Das ist ein europäi 
sches Unglück. Unbestreitbar verdanken wir Deutschland und den 
im tiefsten Grunde friedlichen Absichten des Kaisers die 37 Jahre 
der Ruhe, deren wir uns erfreut haben.“ 
Das Jahr 1909 
Das Jahr 1909 sollte zunächst für Deutschland und seine Ver 
bündeten, wenn auch noch nicht den Ausgleich aller damals schwe- 1 
1 Erinnerungen des Kronprinzen Wilhelm. S. 94.
	        
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