Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Deutschlands Vereinsamung. 1902—1914 
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Besuche in Berlin am 24. Oktober 1908 geäußerter Wunsch, Deutsch 
land möge auf Österreich-Ungarn drücken, damit es die Frage der 
Annexion von Bosnien und der Herzegowina vor eine Konferenz 
bringe und in territoriale Entschädigungen für Serbien und Monte 
negro einwillige, wurde aber vom Fürsten Bülow durchaus ablehnend 
behandelt 1 . Auch in Italien wünschte man eine Konferenz, was aber 
Bülow in seiner Haltung nicht irre machte. 
Mitten in die Balkanwirren hinein platzte Ende Oktober 1908 
die sogenannte „Daily Telegraph“-Affäre. 
Der „Novembersturm“ 
Schon während des Kaiseraufenthaltes in Highcliffe Castle im 
Spätherbste 1907 hatte Oberst Stuart Wortley, der Besitzer des 
Schlosses, mehrfach Unterredungen mit dem Kaiser gehabt 1 2 . Im 
September 1908 hatte er sodann an den deutschen Kaisermanövern 
in Lothringen teilgenommen und wiederum Gelegenheit gehabt, mit 
dem Monarchen über politische Dinge, so über die deutsche Haltung 
während des Burenkrieges, über die deutsche Marokkopolitik und 
vor allem über die deutsch-englischen Beziehungen zu sprechen. Von 
dem Wunsche beseelt, auch seinerseits zur Verbesserung dieser Be 
ziehungen beizutragen und die wahren Auffassungen des Kaisers in 
England bekanntzumachen, übersandte Stuart Wortley am 23. Sep 
tember einen Aufsatz, den er im „Daily Telegraph“ als aus der 
Feder eines alten Diplomaten stammend veröffentlichen wollte. Der 
Kaiser verfuhr absolut korrekt, ließ den Artikel dem Fürsten Bülow 
persönlich zugehen und ihn ersuchen, die ihm gut dünkenden Ver 
änderungen vorzunehmen. Die Sendung sollte nicht an das Auswär 
tige Amt gehen, sondern vom Kanzler so geheim wie möglich be 
handelt werden. Bülow, der damals auf Norderney weilte, schickte 
sie aber doch zur Prüfung an das Auswärtige Amt und, nachdem 
der Artikel mit einigen textlichen Änderungen an ihn zurückge 
langt war, ohne ihn gelesen zu haben, an den Kaiser zurück. Dieser 
sandte ihn an Oberst Wortley, der sich in seinem Dankbriefe vom 
22. Oktober über die Hoffnungen, die er auf die Veröffentlichung 
setzte, erfreut und zuversichtlich äußerte 3 . 
Die Veröffentlichung des Aufsatzes am 28. Oktober 1908 im 
„Daily Telegraph“ erregte ungeheures Aufsehen. In England er 
folgten heftige Ausfälle gegen den Kaiser und die deutsche Politik. 
Bülow, der zugeben mußte, den Artikel nicht selbst geprüft zu haben, 
bat am 30. Oktober den Kaiser um seine Entlassung 4 , die aber nicht 
angenommen wurde. Seine Stellung war eine sehr heikle geworden. 
1 Gr. Pol. Nr. 9064—9066. 
2 Siehe S. 260. 
3 Gr. Pol. Nr. 8249—8253. 
4 Gr. Pol. Nr. 8257.
	        
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