Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

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Deutschlands Lage Ende 1907 
europäischen Politik übernommen habe. Den belgischen Gesandten, 
nicht etwa nur dem „deutschfreundlichen“ Baron Greindl, erschien 
der deutsche Kaiser nach wie vor als starker Hort des Friedens. Seine 
Friedensliebe sei zweifellos echt, denn der Kaiser habe sie während 
einer Regierung von neunzehn Jahren durch die Tat bewiesen. „Es 
ist zu wünschen,“ berichtete Baron Greindl am 19. November 1907 1 , 
„daß der König von England von denselben Gefühlen bewegt sein 
möge“. 
Sache der unparteiischen Geschichtsschreibung wird es sein, 
endgültig darüber zu entscheiden, ob man aus der geschilderten 
Entwicklung der deutschen Politik vom Abgänge des Fürsten Bis 
marck bis zum Ende des Jahres 1907 Weltherrschaftspläne heraus 
lesen kann. Ohne dem Urteil der Geschichte vorgreifen zu wollen, 
darf soviel schon heute gesagt werden, daß die Summe der uns bis 
heute bekannten Dokumente einer solchen Auffassung auf das 
Schärfste widerspricht. 
Das Jahr 1908 
Die bisherigen Darlegungen sind von der Auffassung ausgegan 
gen, daß zunächst der von Bismarck geschaffene Bau des Deutschen 
Reiches an der Hand der deutschen Dokumente in voller Deutlich 
keit dargelegt werden mußte. Sodann galt es, die Entwicklung der 
deutschen Politik, die Jahre der tastenden Erhaltung des Bestehen 
den, den neuen Kurs, die Politik der freien Hand und schließlich die 
Weltisolierung der Mittelmächte zu schildern. In allen diesen Jahren, 
von 1890 bis Ende 1907, war die deutsche Politik immer in irgend 
einem Sinne aktiv bestimmend oder wenigstens mit bestimmend. 
Mit Beginn des Jahres 1908 ändert sich das von Grund auf. Der Ring 
der Bündnisse und Ententen um Deutschland herum ist geschlossen, 
die politische Initiative an die Gegenseite übergegangen. Deutsch 
land kämpft politisch nur noch für die Erhaltung des Dreibundes 
und sucht, allen weltpolitischen Verwicklungen aus dem Wege zu 
gehen. Bei einer ganz offensichtlichen und immer fortschreiten 
den Verringerung der Dreibundstärke geht Deutschland nunmehr 
darauf aus, sich selbst, seine eigene Verteidigungskraft zu Lande und 
zu Wasser so weit zu stärken, wie irgend möglich, um seine Gegner 
von einem Waffengange abzuhalten. Damit wächst die Bedeutung 
Österreich-Ungarns, des letzten sicheren Bundesgenossen, den man 
nicht auch noch verlieren wollte, und der Türkei als der Besitzerin 
des kleinasiatischen Gebietes, wo allein Deutschland noch hoffen 
durfte, wirtschaftliche Fortschritte größeren Ausmaßes zu erzielen. 
—; . i 
1 Die belgischen Dokumente. Neue Ausgabe. Band 3, S. 258ff.
	        
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