Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Das Jahr 1901 
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geschlossen sei. Von dieser falschen Voraussetzung ausgehend ließ 
man die Möglichkeit eines Anschlusses an England ungenutzt. Man 
glaubte, wie Erich Brandenburg überzeugend ausführt 1 , ange 
sichts der Unmöglichkeit einer Verständigung Englands mit dem 
Zweibunde gefahrlos noch länger warten zu können, weil England 
schließlich doch auf uns angewiesen sei und unsere Bedingungen 
werde annehmen müssen. „Dagegen glaubte man, wir selbst hätten 
die freie Wahl des Verbündeten. Durch die freundliche Gestaltung 
unserer Beziehungen zu Rußland und die vorübergehende Zurück 
haltung der Russen in den Balkanfragen ließ man sich verleiten, die 
beiden unübersteiglichen Hindernisse für ein Kontinentalbündnis, die 
elsaß-lothringische Frage und die österreichisch-russische Rivalität 
am Balkan, zu unterschätzen. In Wirklichkeit war es Deutschland, 
das nicht die Wahl des Verbündeten hatte, zum mindesten solange 
es nicht den Dreibund preisgeben und sich auf Österreichs Kosten 
ganz mit Rußland einigen wollte... Indem so unsere politischen 
Lenker durch vorsichtig erwogene Paragraphen der Gefahr entgehen 
wollten, von England ausgenutzt und im Stiche gelassen zu wer 
den, beschworen sie die viel größere Gefahr herauf, unseren natür 
lichen Bundesgenossen in die Arme der Gegner zu treiben und selbst 
der Isolierung zu verfallen. Sie selbst hatten noch immer die Vor 
stellung, daß sie richtig gehandelt hätten, weil England schließlich 
doch wiederkommen müsse und werde. ,Wir dürfen, meinte Bülow 1 2 , 
keine Unruhe noch Ungeduld, noch Eile merken lassen, müssen aber 
die Hoffnung am Horizont schillern lassen. In dieser Hoffnung liegt 
doch schließlich die sicherste Gewähr gegen eine Kapitulation der 
Engländer vor Rußland'. Es ist schwer begreiflich, daß er glauben 
konnte, die Engländer würden sich lange mit der bloßen Hoffnung 
auf das deutsche Bündnis begnügen. Sie hatten die Hand geboten 
und zurückgezogen, als man bei uns das Einschlagen an schwierige 
Bedingungen knüpfte. Sie kamen nicht mehr wieder, sondern gingen 
zu unseren Gegnern." 
Zu ganz ähnlichen Ergebnissen gelangt Friedrich Meinecke 
in seiner „Geschichte des deutsch-englischen Bündnisproblems 1890 
bis 1901" (S. 227/228): „Wenn Deutschland seine Dreibundsforde 
rung zurückgezogen hätte, so wäre das deutsch-englische Bündnis 
menschlichem Ermessen nach zustande gekommen und der Lauf der 
Weltgeschichte ein ganz anderer geworden. Mit tiefster Bewegung 
wird jeder, der die Geschichte des deutsch-englischen Bündnispro 
blems bis zu diesem Punkte verfolgt hat, in die beiden Abgründe 
schauen, die sich rechts und links unseres Weges nun auftun, in den 
einen, der im grellen Lichte der Wirklichkeit daliegt und die Er- 
eignisse und Katastrophen enthält, die sich vollzogen haben, — in 
1 „Von Bismarck zum Weltkriege.“ 2. Auflage. Berlin 1925. S. 158 ff. 
2 1. November 1901. Or. Pol. Nr. 5027. 
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