Erzbischof Dr. Piffl, Bundeskanzler Dr. Seipel, Präsident
Mitlas und der Landeshauptmann erschienen alsbald,
stürmisch begrüßt, mit dem greisen Wiener Männerapostel
am Fenster. Generaldirektor Fried brachte ein dreifaches
Hoch auf den Kardinal, Prälat Seipel und alle Führer aus.
Der Bundeskanzler, Kardinal Piffl und Landeshauptmann
Hauser sprachen herzliche Dankesworte.
Die Wiener Männer fuhren abends mit ihrem Sonder-
zug wieder nach Wien zurück.
38. Der Festzug am 1. Mai. — Aufmarsch.
Mittagsstunde des 1. Mai. Linz gleicht einem großen
Heerlager. Hunderte von kleinen Festzügen durchziehen die
Straßen. Die Landstraße als Hauptverkehrsader der Stadt
wimmelt von Menschen. Autos und Züge der Straßenbahn
stauen sich zu einem unentwirrbaren Knäuel, der sich nur
schwer wieder löst. Lange Menschenzüge kreuzen sich, mar-
schieren aneinander vorüber, meist mit Musikbegleitung.
Ein Ameisenhaufen scheint ausgekrochen zu sein und es ist
als ob ohne Sinn und Zweck das ganze Menschengewimmel
durcheinander wirbelte; als ob niemand Ordnung in das
Getriebe bringen könnte. Und doch geht alles nach einer
genau durchdachten Ordnung und eine Viertelstunde später
hat sich das Bild schon wieder geändert. Schon haben die
Kolonnen im Aufmarschraum Aufstellung genommen. Die
Verwirrung löst sich immer mehr und Ordnung tritt hervor.
Von Tausenden von Festgästen wurde die Frage ge-
stellt: Findet bei diesem miserablen Wetter der Festzug
statt? Der Obmann des Festkomitees, Kanonikus Pesen-
dorfer, gab im Einverständnis mit dem Hochwürdigsten
Herrn Bischof die Losung aus: Es wird unter allen
Umständen gegangen! Diese Nachricht wurde allüberall
mit Freuden begrüßt.
Ein imposantes Bild boten die Aufmarschplätze der
einzelnen Gruppen. Der Bauernbund hatte seinen mäch-
tigen Heerbann in die Gegend der Promenade berufen.
Gruppe um Gruppe rückte hier mit klingendem Spiel ein
und verteilte sich auf die Seitenstraßen. Schloßberg, Lessing-
gasse bis weit auf den Römerberg hinauf, Altstadt, Klamm-
straße und Walterstraße nehmen Tausende auf. Direktor
Kern leitet hier die Aufstellung, die sich programmgemäß
entwickelte. Auf der Promenade hatte eine imposante
Gruppe Aufstellung gefunden, die Frauen in alter Tracht
mit den Goldhauben. Hier stand auch das viel angestaunte
schneeweiße, reich mit Gold gezierte Pilgerschiff mit
seinem hohen Mäste, auf dem die Pilgerfahne mit dem
fünffachen roten Kreuz flatterte, vor demselben die hoch¬
verehrte Statue der Pilgermadonna, die schon dreimal
die 'Fahrt ins Heilige Land unternommen hatte. Daneben
die Pilger und die Pilgerinnen, meist in blitzenden Gold-
Hauben und prächtigen, alten Seidenkostümen. Von der
Promenade durch die Herrenstraße bis hinunter auf die
Spittelwiese waren die Kongregationen aufgestellt. Ein
buntes Bild bot die Hafnerstraße. Hier hatten sich die
Jugendvereinigungen mit ihren bunten Uniformen und
Fahnen angeordnet. Der Handels- und Gewerbebund mit
seinen verschiedenen Gruppen, ferner die Zünfte und In-
nungen harrten in der Baumbachstraße, Kapuzinerstraße,.
nie gesehenen und nie wieder zu schauenden Zug des Klerus
und der Kirchenfürsten in ehrfurchtsvollem Staunen an
sich vorüberziehen ließen. Ueberwältigend aber war der
Anblick von der Galerie des Domes. Ein Blick in die Seiten-
schiffe und in das Hauptschiff zeigte, daß die weiten Hallen,
die über 20.000 Menschen fassen können, mit Gläubigen
voll besetzt waren. Und erst ein Blick in das Hochchor,
wo die Kirchenfürsten und die obersten Gewalten unseres
Staates Platz genommen hatten. Ein unvergeßliches, wahr-
Haft bezauberndes Bild. Auf dem Throne der greise Kar-
dinal-Legat, umgeben von der großen Assistenz, in Purpur
die beiden Kardinäle Dr. Piffl und Dr. Faulhaber, der
Apostolische Nuntius Erzbischof Sibilia, Bundespräsident
Dr. Hainisch, neben ihm im violetten Mantel des päpst-
lichen Prälaten unser Bundeskanzler Dr. Seipel und
dann die große Anzahl der infulierten Prälaten, Aebte,
Bischöfe und die Fürstbischöfe. Eine Farbenpracht ohne-
gleichen. Und dann in langer Reihe, mitten im betenden
Volke, das der heiligen Handlung mit Andacht folgte, der
Welt- und Ordensklerus in Rochett und wieder mitten im
katholischen Volke, zu dessen geistigen Führern sie berufen
sind, die katholisch-deutschen Studenten mit ihren viel-
farbigen Bannern und Mützen. Alle Räume des großen
Domes füllend das katholische Volk aus allen Vierteln des
Landes, aus allen Ländern unseres Staates, aus den
Nachbarstaaten unserer Heimat.
Das päpstliche Weiß der Prämonstratenser, das Weiß
und Schwarz der Zisterzienser, das braune Ordenskleid der
Jünger des heiligen Franziskus, die violetten Mozetten
der Domherren, das Leuchten der Ornate und Kronen der
Priester und Bischöfe des griechisch- und armenisch-katho-
lischen Ritus, das ruhige Schwarz des Weltklerus, das
bunte Farbenspiel der verschiedenen Trachten der Landes-
Ander und über all dem der Glanz der Kerzen und Lichter,
das alles gab ein Gemälde von überwältigender Pracht.
Auf demselben Wege wie beim Einzug kehrte der
Klerus wieder in den Bischofhof zurück. Und wieder setzte
während des Zuges ein tückischer Regen ein.
37. Die Wiener Männer am Grabe Rudigiers.
Am 1. Mai traf in Linz um Y^IO Uhr der Sonderzug
der Wiener Männer ein. Die Reiseleitung hatten Inspektor
Schieter und Direktor Paul Pendel übernommen; mit
den Wiener Männern — ungefähr 600 an der Zahl —
waren unter anderen der greise P. Abel und General¬
direktor Fried gekommen. Vom Bahnhof marschierten sie,
voran das Mariazeller Kreuz und die Katholikentagsfahne,
unter dem klingenden Spiel einer Musikkapelle in die Stadt,
wo sie in der Karmeliterkirche einer heiligen Messe bei-
wohnten. Dann zogen sie in den Dom. P. Abel und
Generaldirektor Fried begaben sich ans Grab des großen
Linzer Bischofs und legten dort den mitgebrachten Kranz
nieder. P. Abel würdigte dann vor den Wiener Männern
die Bedeutung des Bischofs Rudigier.
Vom D^m zogen die Wiener Männer geschlossen vor
die Wohnung des Landeshauptmannes, um dort Kardinal
Erzbischof Dr. Piffl, Bundeskanzler Dr. Seipel und
Präsident Miklas ihre Huldigung darzubringen. Kardinal