Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

II. Das BundesWem Europas und die 
Unterschiede in demselben. 
Zugegeben, daß sich ein Ereignis wie die Gründung des 
Deutschen Reiches auf einem so komplizierten historischen Boden, 
wie ihn Europa vorstellt, nicht ohne Erschütterungen des euro¬ 
päischen Gleichgewichtes vollziehen konnte; durfte das doch für 
Frankreich kein Beweggrund sein, den Frankfurter Frieden 
nur unter dem Vorbehalte zu schließen, denselben umzustoßen, 
sobald sich hiezu Gelegenheit bietet. Zugegeben, daß ein Staat 
von den riesenhaften Dimensionen Rußlands zum Atemschöp¬ 
fen freie Zugangsstraßen ans offene Meer braucht; durfte das 
doch kein Beweggrund sein, sie dort zu suchen, wo die Lebens¬ 
ader einer „anderen europäischen Großmacht ausläuft. Ein 
Reich wie Österreich-Ungarn kann sich eben nicht von einer 
rein slavischen Macht wie Rußland bis gegen die Adria hin 
abschnüren lassen, ohne bei fortlaufender Entwicklung bis an 
die Stufen der Alpen zurückzusinken und dem nachdrängenden 
Kulturkreise des slavischen Ostens bis an die Tore Italiens und 
des süddeutschen Siedlungsgebietes das Feld zu räumen. 
Das zu verhüten liegt nicht allein im Interesse der Dynastie 
und des Selbstgefühls einer uralten europäischen Kulturmacht, 
sondern auch im Interesse des gesamten Völkerkreises der 
Monarchie, der, woraus Karl Lamprecht sehr geistvoll hinge¬ 
wiesen hat, fast zur Gänze mit den geistigen und materiellen 
Gewinnen der Vorkulturen von Rom her gespeist ist und sohin 
auf einem beziehungsreichen Untergründe ruht, der zwischen 
Polen, Tschechen und Deutschen, Magyaren und Südslaven eine 
innerliche Gemeinschaft begründet, die zwischen österreichischen 
Westslaven und russischen Ostslaven niemals hergestellt werden 
kann, nachdem die weltgeschichtliche Quelle, aus der Rußland 
ferne kulturellen Überlieferungen bezieht, nicht in Rom, sondern 
in dem westasiatisch-südosteuropäischen Kulturkreis des dahin¬ 
gesunkenen Byzanz gesucht und gesunden worden ist. 
Rußlands wahre geschichtliche Mission liegt eben in Asien, 
wo es mit ganz geringen Mitteln dauernde Erfolge erzielen 
könnte. Aber nicht immer haben Völker ihre wahre historische 
Mission erkannt, sondern dem echten Realismus zu huldigen 
geglaubt, wenn sie sich in eine bessere und schönere Welt 
hineinträumten, zu der aus zurückgedehnten Erinnerungen 
des Schmerzes oder der Lust gerade zufällig ein verheißungs¬ 
volles Stichwort aufstieg. So umgab das Testament Peter 
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