Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

Aum Sieg zu verhelfen, nicht aber eine Konferenz, in der vet- 
steckte Ziele des Eigennutzes mitreden und deren Mitglieder 
mit dem selbstverständlichen Vorbehalt an ihre Ausgabe heran¬ 
treten, ihren Überredungskünsten im Falle des Mißlingens mit 
Drohungen nachzuhelfen. 
Dafür kann nämlich niemand. Lag es doch gar nicht an 
den Gesinnungen und Wünschen bevollmächtigter Diplomaten, 
wie das stille Duell zwischen Österreich-Ungarn und Rußland 
seinen Weg machte. Ein Allheilmittel gegen dieses schleichende 
Gift zu finden, hätte sich bezahlt gemacht. Vielleicht war ihm 
einmal Graf Goluchowski auf der Spur und jene logisch durch¬ 
dachte Politik, die Rußland mit seinem asiatischen Landunge¬ 
heuer gerne für immer der aufgehenden Sonne zugedreht 
hätte. Wir wissen darüber noch zu wenig; aber daß es einer ad 
hoc zusammenberufenen Konferenz hätte gelingen sollen, ex 
abrupto das Wunder zu verrichten, war ein kindischer oder ein 
höllischer Gedanke. 
Denn einer Konferenz, der es Ernst gewesen wäre, den 
Übeltäter zu strafen, hätte sich Rußland niemals unterwerfen 
können, ohne mit seinem zurückgeworfenen Streben nach dem 
Besitze Konstantinopels für immer hinter verschlossenen Türen 
zu verschwinden. Eine Konferenz jedoch, die von dem Neben¬ 
gedanken beherrscht worden wäre, daß Rußland nicht um die 
Früchte seiner Bemühungen gebracht werden darf, hätte den 
bisherigen Friedenszustand — auf wie lange, ist fraglich — 
nur unter der Voraussetzung zu retten vermocht, daß ihr ein 
geschickter Schachzug gelungen wäre, der Österreich-Ungarn 
mattgesetzt und einem unaufhaltsamen Iersetzungsprozeß preis¬ 
gegeben hätte, zugleich aber jenen recht gegeben hätte, die 
schon längst der Meinung waren, daß es für die Monarchie 
kein Rezept mehr gibt. Die Monarchie hätte sich demnach selbst 
aufgeben oder nach nutzlos hingeschleppten Verhandlungen 
dahin zurückkehren müssen, wo sie hätte anfangen sollen. 
Der Fehler war eben, daß Rußland seinen blind erge¬ 
benen Schützling zu jenem verwegenen Spießgesellen gro߬ 
gezogen hatte, der sich der Monarchie gegenüber alles erlauben 
zu dürfen glaubte und unter Ermahnungen zur Mäßigung 
gewiß niemals gelitten hat. Das Anglück war, daß Europa aus 
zwei streng geschiedenen Lagern bestand und zufolge der Ver¬ 
wicklungen seiner Bundespflichten einen Konflikt an begrenzter 
Stelle kaum mehr überwinden tonnte, ohne den Kampf auf 
der ganzen Linie zu entfachen und zur Austragung zu bringen.
	        
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