Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

sich- Bieten sie aber deshalb schon eine Rechtfertigung für die- 
von Mancini aufgestellte Lehre, daß die Staaten, statt das 
Ergebms geschichtlicher Vorgänge und vielhundertiähriger 
Überlieferungen zu bleiben, der jeweiligen Nationalität ent¬ 
sprechen mußten? Männer von dem Range von Holtzendorffs 
unb von Martens haben das Nationalitätenprinzip verworfen: 
Thiers hat es in der Kammersitzung vom 14. März 1867 in be¬ 
redten Worten bekämpft. Padeletti hat daran erinnert, daß 
vom nationalen Gesichtspunkte aus Staaten wie Belgien 
und die Schweiz ihre Daseinsberechtigung verlieren würden 
und m einem Prozesse ausgehen müßten, der letzten Endes 
auf die Bildung von drei oder vier ungeheure Staatskörper 
abzielte. „Der folgerichtige Schluß des gedachten Grundsatzes 
wäre die Aufrichtung des Pangermanismus und des Pan- 
slavisrnus." Aber selbst wenn man nicht so weit gehen wollte, 
Indern unter Inkrafttretung des Nationalitätenprinzipes 
ausschließlich die Austeilung der österreichisch-ungarischen Mon¬ 
archie verstehen sollte, wie groß wäre die Verlegenheit, wenn 
m Anwendung dieses Prinzips auf ein uraltes Reich, das von 
Alpen, Karpathen und böhmischen Waldgebirgen zusammen¬ 
gehalten, durch die festgefügte Klammer von Wien an den 
deutschen Kulturkreis des Westens angeschmiedet, praktische 
Schlußfolgerungen gezogen werden sollten. 
Ein tschechisch-slovakisches Königreich, das — von seiner 
wundervollen Nordwestgrenze bis gegen Taus, Pilsen über 
Saaz, Leitmeritz und Reichenberg hinaus abgedrängt — jenseits 
der Karpathen in einer Linie von Neutra bis Kaschau ins 
Ungarische hineinginge; ein russisch-ruthenisches Reich, das 
sich von Nordost her über die Karpathenpässe bis gegen Munkacs 
hin vorlehnte; ein Rumänien, das über die Wälle Sieben¬ 
bürgens den Zuflüssen der Theiß entlang auf Arad und Groß- 
wardem hm vorstürzte; ein Groß-Serbien, das längst der Drau- 
"Ule Ungarn im Süden abstutzte, ein Deutsch-Österreich, das 
sich tn flacher Öffnung von den Osträndern der Alpen her nach 
Angarn hinabsenkte; dazu ein die Karsthöhen emporklimmendes 
Italien, das auf die südslavische Grenze ebenso verwirrend 
wirken müßte, wie ein über die westlichen Karpathenkämme 
vordringendes Polenreich die tschechisch-slovakische Nordgrenze 
verderben würde; und inmitten dieser über Ungarns Tiefebene 
sich vorbeugenden nationalen Vorpostengelände, deren natio¬ 
nale Gegensätze überdies noch durch den Hinzutritt staats¬ 
politischer und wirtschaftlicher Sonderinteressen verstärkt wür¬ 
den, ein bis zur Ohnmacht zurückgepreßter Magyarenstaat, 
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