Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

großer Völkerkreise einzusammeln beschieden war und sie ge¬ 
rettet hat? Ein solches Kleinod der Erdbildung von so ergrei¬ 
fender Klarheit der Umgrenzung, wie ein von steilen Wänden 
umrahmter Bergsee, erweckt geradezu das Bedürfnis nach 
Niederlassung und bietet nicht minder freundlich die Mittel 
zu dessen Befriedigung an. Wundern wir uns nicht, daß hier der 
ruhende Spiegel der Menschheit sich streckt und dehnt in so 
farbenreicher Pracht. 
Eine bösartige Geschichtsauffassung hat die Lüge in die 
Welt gesetzt, das Reich sei aus den Mitgiften reicher Erbprin- 
zessinnen zusammengestellt und verdanke sein Dasein dem Kunst¬ 
griffe imperialistischer Spekulationen. Aber davon, daß die 
auf dem Boden der Monarchie durcheinander gewürfelten 
Völker durch die konzentrische Abdachung der von ihnen be¬ 
wohnten Länder gegen die Mitte in ein enges Netz persönlicher 
Beziehungen gebettet sind und von den umliegenden völkischen 
Zusammenhängen losgelöst, in einem Brennraum gesammelter 
Schwerkraft gestellt sind, spricht man nicht. And gerade von 
dieser Seite aus hat sich der Werdegang der Monarchie durch- 
gefochten. 
Indem die abgebröckelten Teile einander sich befehdender 
Völkerfamilien den Bedarf ihres Daseins an Ruhe und Sicher¬ 
heit in jenen nach innen gekehrten und durch die grandiose 
Umwallung undurchdringlicher Gebirgsketten abgesperrten 
Landschaften suchten und fanden, traten sie ahnungslos in 
einen Kreis zusammenstimmender Interessen, in welchem 
jedem die Kunde von dem Dasein des anderen näher zu gehen 
begann, als die hinter Bergen und Wäldern zurücktretende 
Umwelt. 
Sie alle strebten, wie jedes Naturvolk, nach Gestaltungen 
nationalen Ilmsanges, aber auf einem Boden mit vorgezeich¬ 
netem Umrisse, den keines für sich allein zu füllen vermochte, 
dessen umschließende Form aber anzunehmen war, wenn die 
geplanten staatlichen Errichtungen den Zwecken eines geord¬ 
neten öffentlichen Lebens entsprechen sollten. So wuchs ihr 
politisch-geographischer Gesichtskreis über den gegebenen Schau¬ 
platz innerer Wechselwirkungen hin, lockerte den Zusammenhang 
mit der Außenwelt, gewöhnte den Blick an das vertraut ge¬ 
wordene Bild eines unharmonischen Zusammenklangs der 
Sprachen und verwies ihn auf das eng verkettete Ganze als 
Grundlage eines wohnlichen Gesamtdaseins. Die Völker der 
Monarchie genießen eben aus dem Stegreif, was sich die 
Deutschen im Reiche, was sich die Polen, ebenso Völker der 
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