Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

Aber der deutsche Militarismus! Ja, kann denn angesichts 
einer so widerspruchsvollen Situation, in der einem Volke 
ohnehin auf friedlichem Wege ein wirtschaftlicher Erfolg nach 
dem andern zufällt, während seiner politischen Feinde auf allen 
Seiten so viele werden, daß es allen Grund hat, einen mili¬ 
tärischen Zusammenstoß mit ihnen, durch den es nur um die 
Früchte seiner friedlichen Erfolge gebracht werden kann, zu 
vermeiden, überhaupt noch von einem Militarismus die Rede 
sein, der über das natürliche Bestreben, durch seine reaktive 
Überlegenheit zu wirken, hinausgeht? Französisch-englische 
Filmerzeuger, Tagesschriftsteller und Politiker sind anderer 
Meinung. Sie bleiben dabei, dem deutschen „Tier" ins Auge 
gesehen zu haben und sie beweisen es, indem sie Musterexem¬ 
plare vorführen, die — karikiert oder stark vergröbert — ganz 
so wie Menschen aussehen, in denen eine gut dressierte Massen¬ 
phantasie das angelernte Bild eines deutschen Barbaren zu 
erkennen vermeinen mag. Auch das ist Menschenart! Eine 
über die ganze Welt zerstreute antideutsche Propaganda 
transponiert den weithin schallenden D-moll-Akkord wachsamer 
deutscher Wehr in ein lebensvolles A-Dur sturm froher Kampfes¬ 
lust, sie zeichnet den deutschen Kaiser, den lichtvollsten Roman¬ 
tiker unter den gefürsteten und bürgerlichen Oberhäuptern 
der Welt und enthusiasmiertesten Friedensfürsten, zu einem 
Fra Diabolo im blumigen Menschheitsgarten eines hochkulti¬ 
vierten Europa um, sie schichtet sich aus preußischem Land-, 
Geld-, Industrie-, Beamten- und Militär-Adel eine Krieger¬ 
kaste zusammen, ein Riesengespenst, ebenso unfaßbar, wie 
unwahr, und sie ist stolz daraus, einem großen Teile der 
Welt eingeredet zu haben, das preußische Rezept, nach welchem 
aus der preußischen Kernmacht eine deutsche Vormacht und 
aus dieser eine preußisch-deutsche Großmacht geworden ist, 
sei aus die Reichspolitik übergegangen und auf dem besten Wege, 
aus einer deutschen Großmacht über eine europäische Abermacht 
eine deutsch-europäische Allmacht herauszubilden und so fort, 
bis der letzte Rekrut der Welt eingefangen sei und zur Berliner 
Schloßwache abkommandiert werden könne. 
So wurden die dunklen Flammen am politischen Himmel 
Europas durch optische Reflexspiegel in die Luftlinie Berlin- 
Potsdam geleitet, während über den unterirdischen Feuer¬ 
herden, aus denen die eigentlichen Spannungen aufstiegen, 
in den täuschendsten Farben der Natur der heitere Himmel 
Neapels glänzte. Hiemit war aber die Kuh aus dem Stall 
und die chronische Volksvergiftung nahm ihren Weg. Sie 
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