Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

Geltung bringt, pares inter pares, hat die Gegenseite unzwei¬ 
deutig die Gewißheit außer Zweifel gerückt, daß sie zur Waffe, 
diesem letzten Mittel, gegriffen hat, ich will nicht sagen aus 
Lust an den Greueln der Zerstörung, wohl aber aus Lust am 
Umstürze, principes supra rninores. 
Skeptiker von der Art jener Leute, die in den gegnerischen 
Gedankengängen gerne Tiefgründigkeiten eines verborgenen 
Nechtsgefühls wittern, geeignet, die eigene Sache ins Anrecht 
zu setzen, werden mir vielleicht mit dem entrüsteten Zuruf ins 
Wort fallen, eine Ilmsturzidee, für deren Zukunft mehr als 
der halbe Völkerkreis der zivilisierten Menschheit mit Gut und 
Blut einzustehen sich bereit erklärt hat, müsse mindestens zur 
Nachdenklichkeit stimmen. Ihnen möchte ich zu bedenken geben, 
ob denn nicht schon längst die Probe erbracht sei, daß selbst 
der sinnvollste Gedankenlaus einer Völkerentwicklung durch 
den gewaltsamen Eintritt einer künstlich vorbereiteten Massen- 
vergistung gestört und unterbrochen werden kann. Man ver¬ 
gesse doch nicht, daß die meisten Menschen nicht stark und nicht 
schwach, nicht gescheit und nicht dumm, nicht gut und nicht 
schlecht sind, sondern so, wie es sich eben trifft, innerhalb 
weniger Staffeln apathisch auf- und abschwärmen, ebenso 
willig bereit, sich gelegentlich emporscheuchen zu lassen, als 
einem sanften Druck nach unten nachzugeben. Von diesem 
unvermeidlichen Mangel in der gesamten Menschheitsanlage 
legt vielleicht nichts so deutlich Zeugnis ab, als der Mißbrauch, 
den mit ihm ein demagogisch durchgebildeter Egoismus treibt, 
der stets auf allen Linien nach einem Auslauf späht und vor 
keinem Mittel zurückschreckt, selbst eine aufsteigende Woge der 
Menschheitsentwicklung in einer zusammenstürzenden zu be¬ 
graben, wenn es seinen Absichten dienlich ist. 
Fn glänzend gestellten Attitüden tritt er vor die fragende 
Menge, reißt das Massengefühl an sich und schwingt sich an 
der entfesselten Wildheit des angeleiteten Gedankenlaufes in 
das warme Nest seiner stillen Träume. So kann es geschehen 
— und daß es geschieht, hat der Ausbruch des Weltkrieges 
dargetan — daß selbst hochzivilisierte Völker einer Komplott¬ 
politik niederster Gesinnung verfallen, einer Politik, die jene 
in ihren ersessenen Ehren und Würden vielleicht unver¬ 
dient herabsetzt, dagegen dem Getümmel von Haß, der sich mit 
ihr hervordrängt, zu einem höchst sonderbaren Ansehen verhilft, 
das diesem niemals gebührt. Gewiß kein Machtgebot auf Erden 
erzwingt sich ein bestimmtes Gefühlsleben. Aber wäre der 
gesamten Menschheit nicht größeres Heil widerfahren, wenn 
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