Volltext: Kriegerische Demokratien in Vergangenheit und Gegenwart [97]

kaiser auch mehr als der Typus des kriegerischen Monarchen er 
scheinen: häufig läßt gerade die napoleonische Kriegspolitik ihre 
revolutionär-demokratische Lerkunft sichtbar werden. 
Die Äberlieferung der Lonquete Jacobine ist in Frankreich 
auch sonst stets lebendig geblieben. Am deutlichsten ergibt sich 
das aus der Geschichte der dritten Republik. Nur im Schatten 
der großen und blutigen Äberlieferung der Conqu€te Jacobine 
läßt sich die Entwicklung ihrer auswärtigen Politik begreifen. 
Kaum hat sich diese neue Republik, wenn auch noch auf schmaler 
demokratischer Grundlage, 1879 konsolidiert, da geht sie daran, 
in Krieg und Eroberung während der ersten Lälfte der achtziger 
Jahre die Grundlagen zu einem neuen französischen Kolonialreiche 
zu legen. 
Das französische Beispiel ist für die Erforschung der Ge 
schichte und des Wesens der Demokratie aber besonders deshalb 
so lehrreich, weil es mit seltener Anschaulichkeit zeigt, daß die 
zunehmende Radikalisierung der Demokratie den Frieden nicht 
gewährleistet, sondern vielmehr gefährdet. Das Jahr 1898 ist in 
dieser Einsicht das entscheidende Jahr. Im Innern die Aufrich 
tung einer radikal-demokratischen Herrschaft, im Äußern die plan 
mäßige, überall den Krieg streifende Vorwärtspolitik Delcaffes 
(Minister des Äußeren 1898—1905). Im Innern, im Dreyfus- 
prozeffe, der Sieg der Liga der Menschenrechte, d. h. der nicht 
nur antiklerikalen, sondern auch antimilitaristischen Demokratie — 
nach außen nun aber nicht etwa eine pazifistische Entsagungspolitik, 
sondern offensive Bündnispolitik im großen Stile, unter Leitung 
Barreres in Rom und der Gebrüder Cambon in Berlin und 
London. Die auswärtige Politik dieser radikalen französischen 
Demokratie liefert der Einkreisungspolitik des bald nachher ans 
Ruder gelangten demokratischen englischen Imperialismus die 
dankbarsten Materialien. Erst unter dieser radikalen Regierung 
gipfelt die ständig mit dem Kriege spielende französische Auslands 
politik in einer aggressiven Marokkopolitik. Mit der neu er 
wachenden Revanchepolitik kann sich diese kriegerisch gerichtete 
Auslandspolitik der Demokratie dann leicht verstechten. Auch der 
Eintritt Frankreichs in den Weltkrieg ist unter einer radikalen 
Regierung erfolgt, die sich bis heute am Ruder behauptet und 
noch kürzlich die alten Anschläge auf das linke Rheinufer in feier 
lichem Staatsvertrag erneuert hat. 
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