Das Haus der tausend Uhren
„Ovale Oerrlein aus Nürnberg.
Schmitterling-Uhren. Schilderuh¬
ren. Teller- und Taleruhren. Be¬
sonders hervorzuheben eine gold-
geschmieüete Kreuzuhr mit Ame¬
thystdeckel und reicher Emailma¬
lerei..." Haben wir da etwa eine
Reklameschrift aus Urväterszeiten
vor uns? Doch wohl nicht, denn
es ist kaum anzunehmen, daß bie¬
dere Handwerker des 17. Jahr¬
hunderts in der planmäßigen
Kundenwerbung die Wege gingen,
die heute Suggestion und Massen¬
psychologie weisen. Es handelt sich
auch nicht um eine Auktion und
schon gar nicht um eine Berlustan-
zeige. Alles daneben geraten. Die
Lösung ist ganz einfach — es ist
die Aufzählung einiger weniger
Stücke aus der prachtvollen Samm¬
lung des Wiener Uhrenmuseums.
Schmucklos, unscheinbar, mit
seinen 400 Jahren schon fast zeit¬
los, ist dieses Hans Schulhof 2
in Wien, hinter dessen Mauern
im. Pulsschlag unzähliger Uhren
die Zeit ihre lebendige Verkör¬
perung gefunden hat. Ein Muse¬
um, das keineswegs den herkömm¬
lichen Eindruck macht, denn man
zögert ein wenig, ehe man den
dunklen Hausflur betritt. Ein
Schild erst verschafft Gewißheit:
Besichtigung an drei Wochentagen,
Dienstag, Mittwoch, Samstag, 10
Uhr. Da allerdings stolpert man
hastig die steile Stiege hinauf, die
entlang der alten steinernen
Treppenspindel zum ersten Stock¬
werk führt. Zuspätkommen mag
manchem als unvermeidlich er¬
scheinen. Aber alles zu seiner Zeit
— hier wäre es peinlich.
Das Jubiläum des Museums.
Am 4. Mai 1937 konnte das
Museum die Feier seines zwanzig¬
74
jährigen Bestandes begehen. Der
verdienstvolle Leiter dieser Wiener
Sehenswürdigkeit Direktor Ru¬
dolf Kaftan ist zugleich auch ihr
eigentlicher Schöpfer, denn die
Sammlung Kaftan war es, mit
der im Mai 1917 durch Gemeinde¬
ratsbeschluß das Uhrenmuseum
der Stadt Wien begründet wurde.
Was vielen als skurrile Samm¬
lerleidenschaft eines Sonderlings
erschienen war — verließ doch der
junge Lehrer die ursprüngliche be¬
rufliche Laufbahn — hatte so durch
Fleiß, Ausdauer und Umsicht feste
Formen gewonnen. Heute schätzt
der Fachmann die bestehende Ein¬
richtung als lückenlose und voll¬
kommene Schaustellung einer jahr¬
hundertelangen handwerklichen
und künstlerischen Entwicklung.
Aber auch dem Laien bietet sich
mit dem Reiz des Neuen, Unge-
kannten eine dankbar empfundene
Bereicherung seines kunsthistori¬
schen Wissens.
Einverleibung dreier Privat¬
sammlungen.
Drei weitere Sammlungen aus
Privatbesitz, deren Ankauf zum
Teil durch Zuwendungen der Wie¬
ner Banken, dann aber durch
Spenden der Großindustriellen
Dr. Karl Skoda und Bernhard
W e tz l e r sowie des damals be¬
stehenden Vereines der Freunde
des Uhrenmuseums ermöglicht
wurde, schufen eine überaus wert¬
volle Bereicherung des Vorhande¬
nen: in erster Linie die berühmte
Taschenuhrensammlung von der
Schriftstellerin Marie v. Ebner-
Eschenbach, dann die aus 110
Stockuhren bestehende Sammlung
L e i n e r und schließlich die 460
meist uhrtechnisch hervorragenden
Taschenuhren des Wiener Uhrma-