Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1938 (1938)

Ischler Jugend er inner ungen 
Von Guido W. Kupka- 
Allem Zeitmangel zu Trotz, be¬ 
dingt durch mannigfache Arbeiten, 
die angeblich das Leben süß machlen, 
kommt man ja doch hin und wieder 
dazu, den bewußten Hahn aufzu¬ 
drehen, welcher zur „Radioleitung" 
führt, um sich dem einen oder ande¬ 
ren musikalischen oder rhetorischen 
Genuß zu Gemüte zu führen. 
Bei einem derartigen Anlasse 
stieß ich kürzlich zufällig auf die 
Wiedergabe eines Liedes, betitelt 
„Gruß an Ischl!" — Mannigfalti¬ 
ge Bilder aus frühesten Kindesta¬ 
gen und späteren Jahren stiegen 
dabei bor meinem geistigen Auge 
aus! — Was bedeutet Ischl heute 
unserer Generation? — Was weiß 
sie davon, was einstens Ischl dem 
Oesterreicher gewesen ist. Man 
kommt in den lieblichen von hohen 
Bergen umrahmten Kurort, be¬ 
sucht pflichtschuldigst die Esplanade, 
bewundert, wenn man eine Aus¬ 
sicht hat, das Massiv des Dachsteins 
und das Karls-Eisfeld, blickt, eine 
der TranUbrücken überschreitend, 
in die darunter in eiligster Fahrt 
dahinschießenöen grünen Wasser¬ 
massen der Traun, geht vielleicht 
noch auf den nahen Sirinskogel 
mit seiner lieblichen umfassenden 
Aussicht und besichtigt die „Kaiser¬ 
villa". „Ein ganz reizender Kur¬ 
ort... wunderschöne Spaziergän¬ 
ge... viel Fremde... erstklassige, 
ausgezeichnete Hotels"... das sind 
so im allgemeinen die landläufigen 
Urteile unserer heutigen Genera¬ 
tion ... 
Ja, was weiß diese, was Ischl 
einst war... und welcher ehr¬ 
furchtsvolle Nimbus es umgab. — 
In dem einzigen Worte „Kaiser¬ 
villa" liegt das ganze Geheimnis! 
Verbrachte doch seit vielen Jahr¬ 
zehnten der österreichische Hos, an 
der Spitze Kaiser Franz Joses, die 
Sommermonate mit kurzen Unter¬ 
brechungen, bedingt durch wichtige 
Anlässe, die ihn in die Metropole 
zurückriefen, in Ischl, das er so in¬ 
nig liebte. 
Das ganze Leben in Ischl war 
damals in erster Linie auf „den 
Kaiser" eingestellt. Freilich muß 
man sich schon bedenklich sozusagen 
dem „50. Parallelkreis des Lebens" 
genähert, oder ihn gar, wenn auch 
nur knapp, überschritten haben, um 
sich auf diese Einzelheiten noch er¬ 
innern zu können. 
Meine Eltern hatten einige 
Jahre hindurch mit meinem Onkel 
und Tante eine kleine Villa ge¬ 
mietet, die an der Zufahrtsstraße 
zur kaiserlichen Billa lag und ei¬ 
nem Hofbediensteten gehörte. Durch 
ihn war ich, damals ein etwa acht¬ 
jähriger Buh, stets genau über die 
Ausfahrten des Kaisers orientiert 
und verabsäumte es selten, vom 
Balkon mit einer Fahne oder Ta¬ 
schentuch in Gesellschaft meiner 
noch jüngeren Kusinen dem allver¬ 
ehrten Herrscher zuzuwinken, was 
uns nicht selten einen besonderen 
kaiserlichen Dank eintrug, aus den 
wir natürlich immens stolz waren. 
Gewöhnlich fuhr der Kaiser, beglei¬ 
tet von seinem damaligen Flügel- 
adjutanten, dem Oberst Grafen 
S ch a f f g o t s ch e, aber manches¬ 
mal saß an dessen Stelle ein etwas 
schmächtiger jüngerer Herr in 
Oberstuniform, mit einem schwa¬ 
chen Anflug von Backenbart, — der 
Kronprinz Rudolf!- 
Auf der auch heute noch so be¬ 
liebten und berühmten Esplanade
	        
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