Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1938 (1938)

AUS VENEDIG 
VON E M M Y 
Wer in Venedig lebt, in 
dieser einzigartigen Traumstadt, 
die Wer Hingebenden Wassern er¬ 
baut ist, wird dankbar. Die Lieder, 
die auf dem Lido gesungen werden, 
fallen so leicht und unwillkürlich, 
wie die Goldstreifen über die La¬ 
gunen wandern, wenn die Sonne 
untergehen will. Die schwarzen 
Gondeln, die mythischen Schwäne 
mit den Silberschnäbeln flitzen 
lautlos durchs Wasser. Das ferne 
„Ahoi" der Gondoliere tönt wie 
Nebelhorn aus weitem Meer. Es 
ist der matt angedeutete Liebesruf 
„hier bin ich". Dann kommt aus 
der unsichtbaren Wasserstraße das 
Echo, noch einmal „Ahoi . . .". In 
der Pause aber zwischen zwei Ru¬ 
fen ruht es sich besonders schön. 
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HENNINGS 
Der schwarze rüschenbesetzte Bal¬ 
dachin über der Gondel erinnert 
an den Tod. Die Gondel gleicht 
überhaupt einem Sarg. Noch glei- 
ten die Menschen zu Zweien. Sie 
lieben sich. Hinter jedem Vorhang 
glaube ich ein Liebespaar. In Ve¬ 
nedig meint man, es könne nur 
Liebende aus der Welt geben. Wie 
schön sie ist, die Welt. Wie schön ist 
hier die Liebe, die Stadt, die Son¬ 
ne, alles. Wie kann ich recht eigent¬ 
lich sagen, was es ist, das Venedig 
schön macht, da ich doch so allein 
bin. Aber auch das Liebespaar in 
der Gondel ist allein, jeder ist al¬ 
lein und der eine bestätigt nur die 
Einsamkeit des andern. 
Wie lautlos es hier ist. Es gibt 
ja keine elektrische Bahn, keine
	        
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