Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1938 (1938)

Taube und Adler 
Eine Geschichtliche Erzählung von Bernhards Alma 
Die Nacht kam von der Wüste, 
zog durch die Stadt Palmyra und 
kehrte in die Wüste zurück. Es war, 
als wollte die Dunkelheit kein En¬ 
de nehmen. Vielleicht war es gut 
so, denn nun konnte man die römi¬ 
schen Adler nicht blitzen sehen, die 
Kaiser Aurelianus auf dem Son¬ 
nentempel und dem Königsfchloß 
der eroberten Stadt Palmyra er¬ 
richtet hatte. Es war nur ein kur¬ 
zer Kampf gewesen und der Sieg 
war den Römern so leicht gewor¬ 
den, daß der Kaiser, nur eine klei¬ 
ne Besatzung zurücklassend, mit 
dem Heer wieder den Heimweg 
durch die Wüste genommen hatte. 
Zenobia, die besiegte Königin 
des Orients, hatte lange hinausge¬ 
starrt in die Nacht, im Kampf mit 
ihren eigenen Gedanken. Und als 
sie, des Grübelns müde, ihr Lager 
aufsuchen wollte, war sie zu drin¬ 
gender Rücksprache in den Audienz- 
saal gerufen. 
Hier hatte Kerzenhelle die Dun¬ 
kelheit verdrängt und lag in war¬ 
mem, abgetöntem Schein über dem 
Prunk des Raumes, über Zenobias 
ergreifender Frauenschöriheit. 
Sie faß in den Thronfessel ge¬ 
schmiegt,' in schweren Falten fiel 
das Purpurgewand, dessen breiter 
Goldfaum über dem Teppich lag, 
an ihr nieder. Perlenketten wan¬ 
den sich- in mattem Glanze durch 
ihr dunkles Haar. 
Vor ihr standen Firmus und 
Varro, die beiden jungen Vettern 
ihres verstorbenen Gatten Oöena- 
tus, und es waren noch einige 
Männer und Jünglinge versam¬ 
melt. 
„Was wollt ihr von mir in die¬ 
ser späten Stunde?" fragte Zeno¬ 
bia. 
Firmus antwortete: „Die Nacht 
muß decken, was wir beraten und 
was wir tun wollen!" 
„Was wollt ihr tun?" 
„Wir wollen die Triumphzeichen 
der römischen Macht herabreihen, 
wir wollen die Besatzung des Rö¬ 
merkaisers töten und so Palmyra 
befreien. Wir warten nur noch auf 
deine Weisung!" 
Zenobia antwortete nicht gleich. 
Da drängte Varro: „So sprich — 
sage ein Wort und wir befreien 
uns von dem römischen Joch und 
der römischen Schmach!" 
Er war bleich und ohne die ju¬ 
gendliche Anmut, die in Firmus' 
Wesen an Odenatus erinnerte. 
„Ihr seid Schwärmer", versetzte 
die Königin leise, „vergeht die Un¬ 
ruhe dieser Nacht und geht schla¬ 
fen!" 
Heftig widersprachen die Män¬ 
ner, aber Zenobia beharrte: „Was 
sollte es nützen, wenn ihr die rö¬ 
mische Besatzung ermordet? Es 
wäre Mord, nicht Kampf! Der 
Kaiser käme mit feinem Heer zu¬ 
rück und zeige all feine Grausam¬ 
keit." 
„So spricht die Witwe des Ode¬ 
natus?" rief Varro, „dein Gatte 
besiegte den Perserkönig, als wäre 
es ein Spiel, und' du ergibst dich 
dem Feind nach der ersten verlore¬ 
nen Schlacht?" 
,/Genug", entgegnete Zenobia 
abbrechend. Varros Worte hatten 
an die Wunde ihres Herzens ge¬ 
rührt, denn sie trauerte um den 
Gatten immer noch' so tief und 
schmerzvoll wie in der ersten Zeit 
ihrer Witwenschaft. 
„Geht zur Ruhe", sprach die Kö¬ 
nigin, „und' morgen werdet ihr 
meiner Besonnenheit danken." 
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