Taube und Adler
Eine Geschichtliche Erzählung von Bernhards Alma
Die Nacht kam von der Wüste,
zog durch die Stadt Palmyra und
kehrte in die Wüste zurück. Es war,
als wollte die Dunkelheit kein En¬
de nehmen. Vielleicht war es gut
so, denn nun konnte man die römi¬
schen Adler nicht blitzen sehen, die
Kaiser Aurelianus auf dem Son¬
nentempel und dem Königsfchloß
der eroberten Stadt Palmyra er¬
richtet hatte. Es war nur ein kur¬
zer Kampf gewesen und der Sieg
war den Römern so leicht gewor¬
den, daß der Kaiser, nur eine klei¬
ne Besatzung zurücklassend, mit
dem Heer wieder den Heimweg
durch die Wüste genommen hatte.
Zenobia, die besiegte Königin
des Orients, hatte lange hinausge¬
starrt in die Nacht, im Kampf mit
ihren eigenen Gedanken. Und als
sie, des Grübelns müde, ihr Lager
aufsuchen wollte, war sie zu drin¬
gender Rücksprache in den Audienz-
saal gerufen.
Hier hatte Kerzenhelle die Dun¬
kelheit verdrängt und lag in war¬
mem, abgetöntem Schein über dem
Prunk des Raumes, über Zenobias
ergreifender Frauenschöriheit.
Sie faß in den Thronfessel ge¬
schmiegt,' in schweren Falten fiel
das Purpurgewand, dessen breiter
Goldfaum über dem Teppich lag,
an ihr nieder. Perlenketten wan¬
den sich- in mattem Glanze durch
ihr dunkles Haar.
Vor ihr standen Firmus und
Varro, die beiden jungen Vettern
ihres verstorbenen Gatten Oöena-
tus, und es waren noch einige
Männer und Jünglinge versam¬
melt.
„Was wollt ihr von mir in die¬
ser späten Stunde?" fragte Zeno¬
bia.
Firmus antwortete: „Die Nacht
muß decken, was wir beraten und
was wir tun wollen!"
„Was wollt ihr tun?"
„Wir wollen die Triumphzeichen
der römischen Macht herabreihen,
wir wollen die Besatzung des Rö¬
merkaisers töten und so Palmyra
befreien. Wir warten nur noch auf
deine Weisung!"
Zenobia antwortete nicht gleich.
Da drängte Varro: „So sprich —
sage ein Wort und wir befreien
uns von dem römischen Joch und
der römischen Schmach!"
Er war bleich und ohne die ju¬
gendliche Anmut, die in Firmus'
Wesen an Odenatus erinnerte.
„Ihr seid Schwärmer", versetzte
die Königin leise, „vergeht die Un¬
ruhe dieser Nacht und geht schla¬
fen!"
Heftig widersprachen die Män¬
ner, aber Zenobia beharrte: „Was
sollte es nützen, wenn ihr die rö¬
mische Besatzung ermordet? Es
wäre Mord, nicht Kampf! Der
Kaiser käme mit feinem Heer zu¬
rück und zeige all feine Grausam¬
keit."
„So spricht die Witwe des Ode¬
natus?" rief Varro, „dein Gatte
besiegte den Perserkönig, als wäre
es ein Spiel, und' du ergibst dich
dem Feind nach der ersten verlore¬
nen Schlacht?"
,/Genug", entgegnete Zenobia
abbrechend. Varros Worte hatten
an die Wunde ihres Herzens ge¬
rührt, denn sie trauerte um den
Gatten immer noch' so tief und
schmerzvoll wie in der ersten Zeit
ihrer Witwenschaft.
„Geht zur Ruhe", sprach die Kö¬
nigin, „und' morgen werdet ihr
meiner Besonnenheit danken."
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