Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1936 (1936)

11. 
Die Straße ist men¬ 
schenleer. 
Der hohe Feiertag ge¬ 
bietet und schenkt den Men¬ 
schen Ruhe. 
Liefet eilt dahin, ohne 
aufzuschauen. Ein unbe¬ 
wußtes Etwas drängt sie, 
so bald als möglich an Ort 
und Stelle zu sein, wo sie 
das vergessen möchte, was 
sich vor kurzem in ihres 
Vaters Hause zugetragen 
hat. Wenn ihr auch Men¬ 
schen entgegengekommen 
wären, so hätte sie dieselben 
nicht gesehen, denn ihre Er¬ 
regung war zu groß. 
Da schleicht ihr am Ran¬ 
de der Straße ein altes 
Weib entgegen. Es ist des 
Reinbachers Dirn, die alte 
Bärbl; ein altes Weibsbild, 
das schon in ihrer Jugend 
viel angerichtet hat und 
durch ihre Schlechtigkeit je¬ 
den Mann, und sollte er 
auch nicht viel Gutes an sich gehabt haben, abgeschreckt hat. 
So wanderte sie von einem Dienstort in den anderen, wurde alt 
und heute kann sie froh sein, daß sie bei einem Bauern gegen Unter¬ 
stand und Essen dienen kann. 
Gerade kömmt sie von einer entfernten Alm, wohin sie ihr 
Dienstgeber geschickt hat, um den Sennleuten Brot und andere Le¬ 
bensmittel hinaufzutragen. Nun humpelt sie der Ortschaft zu und 
sieht Liefet im raschen Tempo entgegenkommen, so daß sie sich sagen 
muß, daß dieses Eilen einer Flucht gleicht. Sie findet es für gut, von 
dem Mädchen nicht gesehen zu werden, steigt seitwärts und verbirgt 
sich hinter den Gebüschen, um ungestört durch das Laubwerk beobach¬ 
ten zu können. Ihre spähenden Blicke bemerken die nervöse Hast, mit 
der Liesei dahin eilt, sie sieht die hochgeröteten Blicke und das Zucken 
um die Mundwinkeln, wie wenn sich im nächsten Augenblick ein 
Weinkrampf entladen wollte. Der zahnlose Mund des alten Weibes 
verzieht sich zu einem hämischen Grinsen, die Augen zwinkern zu¬ 
sammen und der Kehle entringt sich ein häßliches Kichern: 
„Das Vögerl, das ihm da auskommen ist, das wird der alte Rie¬ 
gelhofer wohl nimmer einsangen können. ®te Dirn hat die Schön¬ 
heit vom Vater und die Dummheit von der Muatta g'erbt. Der An¬ 
dreas hat g'moant, waß Gott, was er mit der Dirn für a Glück haben 
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