Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1933 (1933)

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Die Hausräucherung war vorüber, Las Nachtmahl ebenfalls, 
die drei Rosenkränze, welche am heiligen Abend in allen Häusern 
gebetet werden, kamen heute etwas rasch weg, hernach las das. Rosele 
aus dem alten -Evangelienbuche wunderschön die drei -Evangelien 
von der heiligen Nacht und dem Christtage nebst einer frommen Er¬ 
klärung — dann suchten alle eine kurze Nachtruhe. 
Vom Kirchturm schlug es gerade 10 Uhr, als eine dunkle -Gestalt 
beim Tengelhoser in die Scheune Huschte. — Es war Riepl, der 
Großknecht. — Drinnen suchte er auf dem Heuboden ein Futterloch, 
das auf einen leeren Barren in den Stall hinuntermündete. Er 
warf einige Büschel Heu durch das Loch, und dann rutschte er selber 
über ein Brett hinunter in den Barren. So vorsichtig und Heimlich 
er seine Abfahrt auch bewerkstelligt hatte, es entstand doch einiger 
Tumult unter dem Vieh,' erst nach geraumer Weile beruhigten sich 
die Tiere. Es war behaglich warm im Stalle, öer-Riepl lag weich ge¬ 
bettet im Heu, und doch fühlte er sich nicht ganz wohl im Viehbarren. 
Eine unheimliche Stille herrschte, nur ab und zu vernahm man das 
Hauchen oder das Wiederkäuen eines Rindes — von draußen Herein 
scholl das eintönige Bellen der Habergeiß (Nachteule): „Pipipipipi!" 
Soeben stieg der Mond Hinter dem Walde empor und warf einen 
geisterhaften Schein durch das trübe Glas der Stall-fenster. Dem 
Riepl wurde von -Minute Zu Minute unheimlicher. — Auf einmal 
tönten vom Kirchturm im gewaltigen Chor die Glocken hinaus in 
die Nacht., Es war, als ob -jede eine lebendige Seele habe und aus 
ganzer Seele ihren Ladrus hinaussinge in die Berge und Täler. — 
Dem Riepl dränge» die Glockentöne durch Mark und Bein — so- un¬ 
heimlich hatten die Glocken noch niemals geklungen. — J-etzt schwie¬ 
gen sie, und jetzt setzten sie wieder ein im vollen, majestätischen Drei- 
klang. — 
Nun wußte die -Christmette in der Kirche begonnen haben. 
Der Riepl wischte sich leise die kalten -Schweißtropfen von der 
Stirn. — Doch was war das? — Ein gespenstiger Laut. —Jetzt 
wieder ein tiefes, lang-gedehntes: „M-ääh!" — Und nun begann es 
wirklich in menschlichen Stimmen zu reden. Schecke, die alte Kuh 
im gegenüberliegenden Winkel, eröffnete die Unterhaltung. Sie 
sagte mit dumpfer Stimme: 
„Unsere Stunde ist da . . . sind alle wach?" 
Das Vieh wurde unruhig, brüllte und riß an den Ketten. Ueber 
eine Weile sagte der braune Ochs aus der anderen Seite: 
„Alle sind wach: Kuh, Kalb, Bock und Schaf!" 
„Ist kein's zuviel?" -fragte die Schecke wieder. 
Nun lachte der Geitzbock hinter den Planken Hervor und rief im 
lauten Meckertone: 
„Einer ist zuviel — der größte Ochs — er liegt im hintersten 
Barren." 
■ „Wie schaut er aus ?" fragte die Kuh. 
Der Bock meckerte wieder: 
,Meinen Kops und -große Ohr'n, weites Maul und keine Horn' 
. . . meck, meck, weck!" 
„Was will er hier?" — die Kuh.
	        
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