Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1931 (1931)

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mein Kind sorgen, das niemand mehr haben wird auf der Welt? Da 
hab ich dich, Felix, dem lieben Gott ganz anvertraut, und er hat mir 
geholfen. Ich wagte die Tat. Sie gelang, und das Leben vieler war 
gerettet. 
Felix faltete die Hände und flehte: „Herr, hilf mir, -sonst gehe 
ich zugrunde!" 
Da sah er aus der Ferne die Lichter der Lokomotive herankom¬ 
men. Es war zu spät, wollte er noch hinüberkommen. Er stellte sich 
mit der Lampe in der Hand als Wächter auf, das Licht bald hebend, 
bald senkend- bald im Kreise schwingend. Er sah das Furchtbare vor 
sich: den Tod derer im Zuge, den eigenen Tod, wenn man das Zei¬ 
chen nicht mehr rechtzeitig bemerkt und über die Brücke vorfährt. Der 
Zug wird in den Abgrund stürzen- 'sich selbst und auch ihn mit in die 
Flut reißend. 
Näher, immer näher kommen die Lichter, noch immer kein Zei¬ 
chen, daß man das Winken wahrgenommen, noch immer kreist das 
Licht in der Hand des Knaben. Da erinnert sich Felix an ein Wort, 
das ich den Kindern in der Schule wiederholt eingeprägt, und er 
spricht es in tiefster Andacht aus: 
„I es u s, d er du auf wund erbarste Weise im Sa - 
kram ente des Altars gegenwärtig bist, jetzt in m ei- 
n er größten No t fkehe ich di ch an : Jefus, du Wund er- 
b arer, hilf mir! Deiner heiligen Mutter z u l i e b, 
der du nie eine Bitte abgeschlagen, hilf mir! Hilf 
mir, so nst gehe ich zugrunde I" 
Dann hält er inne. Was sieht er? Der Zug hat sein Zeichen 
gesehen, fährt nur noch schrittweise, hält, steht. 
„Dank dir, o Heiland," ruft der Knabe, „sie sind gerettet!" 
Dann sinkt er wie leblos zu Boden. Die Erregung der letzten 
Minuten hat ihm die letzte Kraft genommen. 
„Ein Notsignal!" dringt der Ruf durch die Nacht. 
Das Personal verläßt den Zug und sieht sich vor der Brücke. 
Schaudern ergreift alle, als sie sehen, in welcher Gefahr sie gestan¬ 
den. Man sucht nach dem Träger der Laterne, die noch brennend 
neben dem Kinde liegt. Im Augenblick verbreitet sich die Nachricht: 
In größter Gefahr standen wir, ein Kind hat uns gerettet. Als mau 
Felix Heranträgt und sieht, daß er lebt, will jeder danken. Der 
Knabe ist noch immer bewußtlos. Man trägt ihn in den Waggon 
und der Zug bewegt sich langsam den Weg zurück, den er gekom¬ 
men war. 
In St. Pölten übergibt man das Kind der Spitalspflege. 
Gegen Morgen schlägt Felix die Augen auf und fragt: „Wo 
bin ich?" 
„Da bist du, Kind, da bei uns," antwortete Schwester Caritas. 
Dabei fährt sie ihm mit weicher, mütterlicher Hand über die 
Stirne. 
Zwei große, lebensvolle Augen schauen sie an. Nach ein paar 
Minuten findet sich der Junge zurecht. 
„Sind sie gerettet, oder . . .?"
	        
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