Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1930 (1930)

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hübscher Bursche, just zwanzig alt. In drei Monaten wird er mir 
dem Studium fertig. Dann heißt es sich entscheiden: Willst noch, 
Vinzenz oder hast du anderes im Sinn? 
Warum schaut heute die Rothmüllerin so traurig empor zum 
Kreuzbilde? Einen Brief hat sie vor den Heiland hingelegt, jenen 
Brief, den vor drei Stunden der Postbote gebracht hatte. So uner¬ 
wartet war alles gekommen. Nie hatte der Sohn von derlei auch 
nur ein Wort erwähnt, zu Ostern noch ganz anders gesprochen uno 
jetzt auf einmal schreibt er: Mutter, ich kann nicht. Tag und Nach: 
hab' ich mirs überlegt. Ich kann nicht, verzeih' es mir! — 
Wie ein zerbrochener Becher lag das Glück, das so licht uno 
schön gewesen, auf dem Boden. Für Minuten war auch diese Frau 
wie jeder andere Mensch. Nicht nur das Bild: Ihr Sohn als Neu¬ 
geweihter am Altare, auch all das andere, was sie sich ausgemalt 
und geträumt, verschwand wie ein schöner Traum. Oede werden 
ihre Tage dahingehen, das Mühen um das tägliche Brot wird 
dauern bis zum Ende . . . 
Sie richtet sich auf und will beten. Sie kann es nicht. 
Zu fest hat sie sich an ihre Hoffnung angeklammert. Drum wird 
es ihr so schwer, jetzt zu tragen, was kommen soll. 
Zürnt sie dem Sohn, der ihr die große Freude des Lebens ge¬ 
nommen? Sie kann es nicht, zu lieb ist er ihr. Nie hat er ihr Kum¬ 
mer bereitet. Und doch kommt die Frage über ihre Lippen: Warum 
bereitest du mir dieses Leid? Was werden die dazu sagen, die für 
dich seit Fahre« Opfer gebracht? Was wird der greise Pfarrer vori 
dir denken? 
Sie faltet die Hände, will beten und kann es nicht. Was hab 
ich verschuldet, daß dies kommen mußte? Warum straft mich der 
Herr, indem er meine schönste Hoffnung zerbricht? 
Da rüttelt es sie. Jener Karfamstagmorgen steht vor ihr, an 
dem sie hinausgeeilt in das Schweigen der Nacht und,. . . Wie 
schwerer Vorwurf kommt es jetzt über sie ... und die Glocke gerührt, 
wo sie noch schweigen sollte, die Osterglocke . .. um des Kindes wil¬ 
len, daß es lebe. 
„Hab ich dir, o Herr," frägt iste zum Kreuzbild empor, „deine 
Todesruhe gestört? Nimmst du mir jetzt dafür weine Freude? 
Nie hab ich's als Sünde gebeichtet, was ich damals getan aus Liebe 
zum Kinde: war's eine Sünde, für die du mich strafft? Hattest du 
damals das Kind mir nehmen wollen? Hab ich's gerettet wider 
deinen Willen?" 
In dumpfem Schmerze kniete die Frau vor dem Bilde. Sie 
faltet die Hände: Antworte mir. Langsam und innig beginnt sie zu 
beten: Vater unser. Da kommt es wie Antwort und Gnade vom 
Kreuze herab über sie: Verkennst du mich so? Soll ich strafen, was 
du tatest aus Liebe? Kennst du mich niemmer? Ich bin doch selbst 
die Liebe. 
Zu Gertrud sagte sie nichts von dem, was geschehen. Sie machte 
sich auf und lenkte den Schritt zum Pfarrhof. Der alte, gütige Seel¬ 
sorger hatte ihr oft genug durch Rat und Tat geholfen. Undank wäre
	        
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