Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1928 (1928)

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Offen aufgebahrt und schön lag die Marialene auf dein Leichen¬ 
bett, rund um sie Herum zog sich ein Kranz von gepreßtem Edelweiß. 
Die Leute beteten: „Herr, gib ihr die ewige Ruhe!" mtö wenn sie 
fortgingen, sagten sie, das Edelweiß passe pro Edelweiß. 
Als die Marialene am dritten Morgen Grabe getragen wurde, 
gingen so viele Menschen mit der Leiche, wie man in Oswalden 
noch nie gesehen hatte. Und unter all den Hunderten und Hunderten 
blieb buchstäblich kein Auge trocken. Am ärgsten weinte Liesl, der 
Kiebitz. Sie tat ganz unsinnig und heulte förmlich: wenn ihr die 
leibliche Mutter gestorben wäre!, hätte sie nicht ärger tun können. 
Der Daviter wurde neben dem Grabe vom Fieber geschüttelt, und er 
mußte sich mehrmals an dem Vetter Dhaddes halten, daß er nicht 
umfiel. Es kam ihm gerade vor, als ob sich die ganze Welt mit ihm 
drehe und ihn in einen finsteren Strudel hinabziehe. Die Tränen 
brannten wie Feuer auf seinen Wangen. 
Dreiundzwanzig Jahre gingen ins Land. Auf dem Grabe der 
Marialene stand ein kunstvolles Kreuz mit einem Bild des Auferstan¬ 
denen an der Spitze, das schon viermal erneuert worden war. Und 
zu diesem Kreuz pilgerte nun schon dreiundzwanzig Jahre Tag für 
Tag, Winter und Sommer, Werktag und Sonntag, ohne Ausnahme, 
ein Mann, der jedesmal etwa fünf Vaterunser lang betete, dann 
ein Kreuzzeichen über das Grab machte unö leise sprach: „Der Herr 
geb dir die ewige Ruhe — behüt dich Gott!" — Das war der Daviter. 
Er hatte nicht mehr geheiratet, ja nicht einmal den Gedanken daran 
erwogen. Schon der bloße Gedanke an eine neue Heirat wäre ihm 
'wie eine Untreue an der Marialene vorgekommen. Sein Hochzeits¬ 
gewand hatte er ein einzigesmal getragen, uNd es ruhte seit dreißig 
Jahren zu unterst in einem Kasten: aber nun mußte er es doch her¬ 
vorholen und noch einmal anlegen. 
Das Daviterhaus beging nämlich ein großes Fest. Am Sankt- 
Peter- und Paulstag war Gottfried, der ältere Davitersohn, als 
neugeweihter Priester von der Bischofsstadt nach Hause gekwamen, 
und am zweiten Sonntag im Juli fand die geistliche Hochzeit, die 
feierliche Primiz, statt. 
Ein sonnengoldener, himmelblauer Morgen lag über dem Tag, 
wie ein goldgefaßter Smaragdkranz faßen die Almen auf den dunkel¬ 
haarigen Waldbergen, u. über ihre Schultern lugten die fchimmern- 
den Kristallkuppen der Ferner: das ganze Dorf Oswalden war voll 
Tannen- und Blumenduft, die Häuser standen im bunten Schmucke 
da, und die langen Fahnen wiegten leise und feierlich vor den Häu¬ 
sern hin und her. Um acht Uhr ging der festliche Zug mitten durch 
eine wogende, unüberfehbars Menschenmenge vom Widum zur 
Kirche. Die Glocken jubelten iw vollen Chor hinaus ins Land, das 
Echa der Pöllerfalven trug den Jubel hinaus Dis zu den Höchsten 
Jöchern, die hellen Klänge der Musik schmetterten ihn über die Fel¬
	        
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