Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1928 (1928)

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seinen Bart: „Mein Gott, mein Gott, gibt's schlechte Sem; Me arme 
Marialene!!" — 
Es vergingen nun ein paar lange, harte Stunden. Der Ver¬ 
unglückte klagte bitter über Seitenstechen, öfters hustete er, und 
das Blut quoll ihm über die Lippen: dann wurde er so schwach, daß 
die anderen beiden jedesmal glaubten, er sei am Sterben. Der Da¬ 
viter betete ihm dann Reue und Leid vor. Doch sobald er anfing 
zu beten, riß der Standing die Augen aus und schrie: „Jetzt kommt 
er! Da ist er schon! Er will meine Seele! Helft, helft mir, jagt 
ihn fort!" 
Gegen zwölf Uhr mittags endlich sah man Leute durch die Alm 
hereingehen. Und eine Stunde später kamen sie herauf ins Gewenk. 
Es waren der Pfarrer, der Mesner und zwei Knechte vom Unter¬ 
holzbauer. Sofort machte sich der Pfarrer daran, dem Verunglück¬ 
ten die Sterbesakramente zu spenden. Nachdem er ihm die Beichte 
abgenommen hatte, was ziemlich lange dauerte, salbte er ihn gleich 
mit dem heiligen Oele. Er ließ dann die Männer alle herantreten 
und der Stauding bekannte in ihrer Gegenwart endlich sein fal¬ 
sches Zeugnis und was er sonst gegen die Marialene verbrochen 
hatte. Dabei sah er niemanden an, sondern schielte immer feitaus 
über die Berge. Die Männer standen erschüttert da, dem Daviter 
aber jubelte das Herz. Mit großer Mühe und unter gräßlichem 
Wehegejammer des Schwerverletzten Hoben sie diesen dann auf eine 
Art Tragbahre, die aus zwei Stangen und einem Tuch hergestellt 
worden war, und trugen ihn unter ungeheuren Schwierigkeiten 
hinab in die Sennhütte des Daviter. Drei-, viermal glaubte man, 
er sterbe auf dem Wege. Nach des Pfarrers Meinung hatte er außer 
den schweren Verletzungen sich in der Nacht auch eine Lungenent¬ 
zündung zugezogen. Man brachte ihn lebend in die Alm und der 
Pfarrer eilte gleich ins Dorf hinab, die heilige Kommunion Herauf- 
zutrageu. Aber er kam damit zu spät: der Verunglückte starb schon 
um fünf Uhr nachmittags. 
Am nächsten Morgen fuhr der Daviter mit feinem Landwägel¬ 
chen in Begleitung des Pfarrers und des Mesners zum Gericht und 
nachmittags schon kamen zwei Gendarmen nach Oswalden, um die 
Meinhart-Tochter abzuführen. Aber die Traudl war verschwunden 
und konnte trotz aller Nachforschungen nicht ausfindig gemacht wer¬ 
den. Man entdeckte weder jetzt noch später irgendeine Spur und 
hörte auch nie mehr etwas von ihr. 
In Oswalden hatte sich die Kunde von den Enthüllungen des 
Staudings wie ein Lauffeuer verbreitet. Es wollten nun alle Leute 
schon von Anfang an geglaubt und gesagt haben, daß die Marialene 
unschuldig sei. Jedenfalls war das Mitleid mit der armen Frau 
nun allgemein und aufrichtig. 
cu 3$Iiimel um® o Herz Hat unser Herrgott geven. 
Die Marialene schritt in dem engen, von hohen Mauern um¬ 
gebenen Garten der Strafanstalt in ■£., wohin sie von Innsbruck 
wieder gebracht worden war, langsam aus und nieder. In ihr früh-
	        
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