Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1928 (1928)

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„Nein, ich erzähl bloß, was mir in die Augen gefallen ist. Aus 
dem schwarzen Kopf hat das Kind einen Auswuchs wie ein Horn, 
und es schaut aus wie der Leibhaftige. Es ist furchtbar. Traudì, ich 
schwör dir's, Traudì, so gewiß, wie ich da steh." 
„Dann war's ja eine richtige Mißgeburt. Daß es so etwas ist, 
hab ich wir alleweil schon gedacht." 
„Freilich- eine Mißgeburt, ein Tattermandl!" bekräftigte die 
Liesl und erzählte noch eine Menge schauderhafter Einzelheiten, die 
sie gesehen haben wollte. 
„Das ist eine feine Geschichte. Recht geschieht der Betfelgräfin, 
ich gönne ihr's." 
„Nein, nein, die Marialene tut mir erbarmen." 
„Weil du ein dummer Kiebitz bist. Hast nie das Sprichwort ge¬ 
hört: Hochmut kommt vor dem Fall, Schande folgt ihr überall?" 
„Stolz ist die Marialene wohl, aber sie ist auch gut. Jetzt sag' 
mir, was weißt denn von der Natzen-Moidl?" 
„Daß sie den Haderer Flori heiratet." 
„D a s ist keine Neuigkeit, das weiß jedes Kind: sie sind ja schon 
beim Pfarrer gewesen." 
„Ich kaun nicht helfen, wenn du's schon weißt. Aber jetzt muß 
ich hinein: der Vater sieht's nicht gern, wenn ich abends lange Her¬ 
außen bin. Gute Nacht, Liesl." 
„Gute Nacht. Aber daß du gewiß nichts wetterredest!" 
„Kannst dich verlassen." 
Das Kiebitzwädchen ging etwas unzufrieden nach Hause. Ein 
paar Tage später war schon das ganze Tal voll von den unstnnnig- 
ste« Gerüchten über das Daviterkinö. Man erzählte sich die haar¬ 
sträubendsten Dinge über die Mißgeburt, die ans dem Großbauern¬ 
hofe zur Welt gekommen wäre. Jetzt blieb den Davitereheleuten 
nichts mehr übrig, als die Wahrheit bekannt werden zu lassem Das 
neugeborene Knäblein, das, wie alle Stammhalter auf dem Daviter- 
hofe seit vielen Generationen, den Namen Gottfried führte, war ein 
kerngesundes, gut entwickeltes und sehr wohlgestaltetes Kind: nur 
hatte es ein furchtbares Muttermal, und zwar just im Gesicht. Das 
ganze Gesichtlein von der linken Seite bis zur rechten und von oben 
bis unten war bläulich-schwarzrot, als ob es verbrannt wäre. Von 
der Ferne gesehen, schaute das Kind fast aus wie ein NegerbübleiN, 
so dunkel war das Gesicht: es hatte aber sehr hübsche, regelmäßige 
Züge und himmelblaue Augen, die recht munter in die Welt guckten. 
Gottfried, der Daviter, schien die Sache ganz leicht zu nehmen, 
obwohl ihm der Doktor versichert hatte, daß das furchtbare Mal 
durch kein Mittel wegzubringen sei und dem Kind sein Leben lang 
bleiben werde. Auf das Gesicht komme es bei einem Menschen gar 
nicht an, sagte er: man müsse unserm Herrn danken, daß das Büb- 
lein so kräftig und gesund wär. Wenn es nur einen hellen Kopf 
habe und ein braver Mensch werde, dann sei alles gut. Innerlich 
ging dem Mann aber die Sache doch sehr nahe. Die Marialene war 
frohgemut und hiNg zärtlich an dem Kinde. Wohl hatte sie sich an¬ 
fangs über das fürchterliche Muttermal entsetzt: aber als der Dok-
	        
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