Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1927 (1927)

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„Es wird schwer sein", erklärte der Mann. „Vor 14 Tagen soll 
man zwei flüchtige Geistliche droben auf der Alm gesehen haben. — 
Wenn halt der alte Mesner etwas wüßte,, ob noch einer herum ist. 
— Ich will einmal hinunter gehen zu fragen." 
„Sei so gut", flehte das Stint, „g'rad' einen geistlichen Zuspruch, 
wenn ich haben könnt'!" 
Der Bauer ging, kam aber nach einer Stunde verdrossen zu¬ 
rück Der Mesner war zornig gewesen und beteuerte, er wisse kei¬ 
nen rechten Geistlichen, man dürfe nicht glauben, daß er überall da¬ 
hinterstecke; übrigens seien gerade jetzt eine Menge bayrischer 
Spione herum, und deswegen könne er schon gar nichts tun -- 
man dürfe die Geistlichen nicht der Gefahr aussetzen. 
„So muß ich ganz verlassen sterben!" jammerte das Stinl. — 
„O mein Franz, mein Franz! . . . Mir ist soviel zeitlang um unse¬ 
ren Herrn, soviel zeitlang, daß ich ihn nimmer haben kann auf der 
Welt! . . . Heut' ist Christnacht, und das Christkind komMt auch nicht 
— ist das schwer!" 
Die Bäuerin und das Nanneîe weinten. — Man ging zum 
Abendessen, hernach wurden die Kerzen in der Krippe angezündet; 
bei dem Leuchten und Schimmern- dieser kleinen Welt, die dem from¬ 
men Volksgemüt die Geheimnisse der ersten Weihnacht so lebhaft 
offenbart, regte sich eine still-wehmütige Freude in aller Herzen. 
— Man betete drei Rosenkränze vor der Krippe und während des 
Betens floß mehr denn eine Träne über die gefurchten Wangen der 
armen Leute. — Hernach holte das Nannele ein dickes Evangeli- 
buch aus dem Schrank und begann laut das Fest-Evangelium der 
heiligen Nacht vorzulesen: „Es geschah in denselben Tagen, daß vom 
Kaiser Augustus ein Befehl ausging, das Land zu beschreiben" usw. 
Da klopfte es plötzlich stark ans Fenster. Der Bauer ging hin¬ 
aus und kam bald wieder in Begleitung eines Mannes in einem 
grauen Mantel. 
„Gelobt sei Jesus Christus!" grüßte der Fremde und schlug 
seinen Mantel auseinander. 
„In Ewigkeit Amen!" antworteten alle, indem sie überrascht 
aussprangen, denn der Ankömmling war ein Priester, dessen noch 
jugendliche Züge von einem schwarzen Vollbart umrahmt wurden. 
„Ich bin wohl recht da beim Jaufenberger, gelt?" fragte der 
Priester; „es hat mir jemand gesagt, daß bei euch ein krankes Weib¬ 
lein sei." 
„Sell woll, sell woll;" erwiderte freudig die Bäuerin; „dort 
liegt sie, die arme Haut, — kommt von Meran herein und hat wollen 
ihren Bub' besuchen, der in Innsbruck eingesperrt ist. Wir haben sie 
gestern halb erfroren gefunden." 
„Wer ist denn da?" fragte das kranke Mütterlein. 
„Ein Geistlicher ist da, ein rechter", sagte Nannele, die Tochter, 
„er kommt wegen dir!"
	        
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