Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1927 (1927)

äs 
Eiskluft zu werfen. — Nach längerem Ausspähen entdeckte er seit¬ 
lich eine Stelle, an der es möglich schien, hinabzukommen. Er klet- S 
terte unter unsäglichen Gefahren über einen Firngrat nieder- Zu 
wärts; mehr als einmal hing sein Leben an einem dünnen Faden, ein 
Endlich erreichte er eine Keesböschung, von welcher die ganze Eis- er 
kluft zu überschauen war. Mit fiebernden Augen spähte er hinein,' So 
doch nirgends sah er die geringste Spur von seinem Weibe. Bloß 
der milchige Schaum des Gletscherbaches gurgelte und kochte unheim¬ 
lich in der blauen Tiefe und spritzte seinen Gischt hoch an den Kluft- 
wänden empor. Es schauderte ihn durch den ganzen Körper. Jetzt 
erst wurde es ihm zur vollen Gewißheit, daß seine Nandl tot sei. 
In dem eiskalten, tiefen Gletscherwasser mußte sie ja schnell ertrin¬ 
ken und wenn sie zu Boden gesunken, war auch ihr Körper von den 
schrecklichen Steinen zu Brei gemahlen worden. Da jammerte er auf: 
„O, du arme Haut, du arme Haut — so zugrunde gehen! — 
Und nichts mehr von dir sehen, kein Stückl Gewand und kein Haarl 
-und nichts mehr von dir haben, nicht einmal dein Grab — 
ooh!" — 
Unwillkürlich drängte sich ihm ein Gebet auf die Lippen,' so¬ 
bald ihm jedoch sein Tun klar wurde, biß er die Zähne auseinander 
und knirschte fast trotzig: 
„Nein, ich bet' nicht — keinen Vaterunser bet' ich mehr! . . . 
Da sind wir drüben in Unser-Frauen-Herberg so lange gekniet und 
haben bis zum Umfallen gebetet, daß unser Kreuz mit dem Bübl 
sollt weggenommen werden. — Statt zu helfen, wirst mich jetzt der 
Herrgott ganz nieder." 
Aber bald schlug die Stimmung des Mannes wieder um und 
reuevoll aufschluchzend sprach er: 
„O, mein Gott, verzeih' mir die Red',' ich weiß ja in meinem 
Elend nimmer, was ich heraussag' ... Es wird wohl so recht sein; 
dir ist alles bekannt, auch was uns armen Menschenhaschern zum 
Besten gereicht. — Ich tu' nicht brummeln — mit dem Herrgott 
schon gar nicht!" 
Jetzt schoß ihm der Gedanke in den Sinn, daß es vielleicht mög¬ 
lich wäre, den Leichnam seiner Frau im Keestümpel zu finden und 
aus dem Wasser herauszuziehen. In dem Falle mußte er jedoch 
rasch Leute herbeiholen. — Hatte er nicht schon zu lange gezögert? 
— Er kletterte mühsam wieder zum Firnsteig hinauf und rannte 
nun, ohne aus eine Gefahr zu achten, in großen Sprüngen über den 
^Gletscher hin. Drunten, wo das Keesfeld zu Ende ging, war ein 
ebener Fleck. Dort schnaufte er einen Augenblick aus und sein Un¬ 
glück kam ihm wieder in ganzer Schwere zum Bewußtsein. 
„Nandl, Nandl, warum hast du mir das getan?" ächzte er 
kläglich. Und dann schrie er laut auf: ir 
„Ich soll jetzt heimgehen zu meinem Bübl, zum Seppele, und ^ 
bring' keine Mutter mehr . . O, du armes Kind, tust d u mir erbar- ^ 
men! . ... Es ist so gut gewesen, das Mutterte, — so lieb, so lieb ö: 
— mit dir und mit mir — und jetzt haben wir's verloren für immer." f*
	        
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