Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

Endlich hat er den Saum des Waldes erreicht- müde fällt er 
auf einen Baumstamm nieder, hier will er nun einschlafen und 
nie, nie wieder erwachen-doch trotz der großen Müdigkeit 
kommt auch hier kein Schlaf in feine Augen. Da blickt er unwill¬ 
kürlich um sich- dort unten zu seinen 'Füßen liegt das kleine Ge- 
birgsdörfchen, sein Heimatsort- und das dunkle Haus, wohl das 
einzige, aus dem heute kein freundlicher Lichtschimmer heraus¬ 
leuchtet, ist sein liebes teures Vaterhaus. Hier stand einst schon 
seines Großvaters und seines Vaters Wiege, hier beugte sich auch 
über ihn selbst vor Zeiten ein liebend Mutterantlitz, und Vater¬ 
liebe und Vatersorge umgaben seine sonnige Jugendzeit. Hier 
verbrachte er, mit Ausnahme der Zeit, wo er sich zum Forstwesen 
heranbildete, fast sein ganzes Leben. Und jener Streifen Acker¬ 
feldes dort hinter dem Hause, mit der schönen Obstbaumallee gehört 
auch ihm. Im Herbste hatte er selbst noch mit Mühe und Fleiß 
das Feld bestellt. 
Einen Augenblick lang zieht die Vergangenheit an seinem 
Geiste vorbei- er wehrt sich dagegen, er will nichts, nein, gar nichts 
mehr denken, was einst war, aber all sein Sträuben hilft nichts, 
immer wieder kommen die Gedanken und nehmen ihn ganz ein. 
Da ist die glückliche Kinderzeit, dann die Zeit der ersten Liebe, 
wo er der schönen Lena Liebe und Treue geschworen-Und 
doch hatte er dann eine andere genommen, weil sie mehr Geld 
hatte. Aber glücklich, nein, glücklich war er nie mit ihr gewesen. 
Und die arme Lena hatte ihm jahrelang nachgetrauert, bis sie dann 
jenen anderen nahm, der sie vor zwei Jahren als Witwe mit ihren 
Kindern in Armut und Not zurückließ. Ach, wie so ganz anders 
hätte es werden können, wenn er sich die Lena wirklich genommen 
hätte! Unwillkürlich blickte er nach der anderen Seite des Waldes 
hinüber, wo ein kleines Haus stand- dort wohnte sie und nähte mit 
geschickter Hand Kleider für die Frauen und Mädchen des Ortes. 
Ein Weilchen machen seine Gedanken Rast. Wie merkwürdig 
friedlich und kirchenstill es doch hier oben ist! Und was noch viel 
merkwürdiger ist, das übergroße Leid, das in diesen Tagen sein 
ganzes Fühlen und- Denken einnahm und keinem anderen Ge¬ 
danken Platz ließ, er fühlt es nicht mehr so zentnerschwer auf sei¬ 
ner Seele liegen und lasten. Fast aus jedem der Häuser, deren 
erleuchtete Zensier jetzt so vertraulich zu ihm heraufblinken, hatte 
der Weltkrieg eines oder das andere Opfer gefordert, und doch 
trugen sie ihren Schmerz und ihr Leid still und ergeben- von kei¬ 
nem war es noch gehört worden, daß er sein Leben aus Mutlosig¬ 
keit und Verzweiflung weggeworfen hätte, wie er zu tttn es im 
^Begriffe stand.
	        
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