Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

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Das frische, blühende Kind und neben ihm die tote Mutter — 
welch ein schmerzlicher Anblick! Noch dazu der Farmer mit seinen 
anderen kleinen Kindern neben ihr. Und dennoch lächelte der Gatte, 
freilich unter Tränen, und rief aus: „So hat sie die heiligen Sakramente 
doch noch empfangen! Ich danke dir, o Gott!" 
' O, ihr Europäer, der Glaube eines einsamen Farmers, der in 
seiner Einsamkeit so recht auf Gott und seine Familie angewiesen ist, 
wie groß und wie stark ist er oft! 
Ich ging in den Hof hinaus und sah meist totes Pferd. Eh, mon 
Dieu, lachen Sie mich aus, nennen Sie mich, wie Sie wollen, ich weinte 
bitterlich über meinen Braunen. Das treue Tier mußte seine Treue 
mit seinem Leben bezahlen. — Was machen Sie für ein ernstes Gesicht? 
Ah, God bleß Aou, Sie haben mich verstanden, sprach er zu wir, der ich 
tief ergriffen zuhörte. 
Er hielt wieder einige Zeit inne, und als hätte er sich über seine 
Schwäche ob des geliebten Tieres geschämt, sagte er entschuldigend: Es 
war ein zu liebes Tier mein Braun, zu klug, zu verständig, und wer 
so auf sich allein angewiesen ist, wie ein Missionär unter oft gar kalten 
Nordamerikanern, der weiß auch die Liebe eines Tieres zu schätzen. 
Hierauf fuhr er in seiner Erzählung fort: Der Farmer führte 
mich in seinen Stall. Es waren öarist 24 Stück Pferde. Er sprach: „Herr 
Pfarrer, wählen Sie Ich aus, welches Sie wollen, als Ersatz für 
Ihr Pferd." 
Ich wählte wir das geringste Pferde aus, was er gar nicht zugeben 
wollte, und erwischte noch dazu eins, das ich mir erst einschulen wußte. 
Am Abend kam ich in meinem Pfarrhause an. 
Wissen Sie, daß ich eine eigene Gabe habe, Pferde zu dressieren? 
Meine Pfarrkinder in Castroville staunen oft darüber, und dennoch ist 
nichts leichter als das. Ich wende keine Schläge an, wie sie, gar nichts 
anderes als, was glauben Sie? — Eh, my Sir, Hunger und Zucker. 
Folgt es, bekommt es nebst guten Worten gutes Futter und Zucker,- folgt 
es nicht, muß es Hunger leiden. Das ist wein ganzes.Geheimnis. Und 
ich glaube, ähnliche Mittel wirken auch bei der Erziehung großer und 
kleiner Kinder. 
Texas tst ein fruchtbares Land, aber wenig bevölkert- denn auf 
seinem großen Flächeninhalt, so groß wie die frühere österreichische 
Monarchie- noch nicht ganz 500.000 Einwohner, was ist das? Die Natur 
ist großartig und an manchen Punkten malerisch schön. Nackte Hügel¬ 
reihen und Kalkstein, am Fuße etwas Laubgebüsch und unübersehbare 
Ebenen oder wellenförmige Erhöhungen mit Eichen und Muskatholz 
besetzt, wechseln ab mit Prärien, grasreichen Wiesen, Auen und frucht¬ 
baren Feldern, èchône gemischte Wälder sind nur in dem Bottoms 
der großen Flüsse vorhanden. Singvögel gibt es weniger als in Euro¬ 
pa,- die europäische Lerche trifft man gar nicht, aber der amerikanische 
Spottvogel ersetzt uns alle. Den habt ihr in Europa nicht, ja ich glaube, 
auf der ganzen Welt nicht mehr. Monsieur, das ist ein Sänger! War¬ 
ten Sie, ich werde ihn beschreiben. 
Dieser Vogel hat ein glänzendes Gefieder und ist so groß wie der 
Spottvogel anderer Länder. Er hat die außerordentliche Gabe, den 
Gesang aller Vögel, ja die Stimmen der Haustiere auf die täuschendste 
Weise nachzuahmen. - - Seine Bewegungen sind leicht, schnell und an¬ 
mutig, sein Auge feurig. Seine Stimme hat eine hohe Lieblichkeit und 
einen so ausgedehnten Umfang, daß er die höchsten und niedrigsten, zu¬ 
gleich süßesten Töne der virginischen Nachtigall mit allen ihren mannig-
	        
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