Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1920 (1920)

Die Frau reiste in der Welt Herum, 
um Zerstreuung zu suchen, weil sie 
meinte, den Verlust ihres Gatten 
anders nicht ertragen zu können. 
Eines Nachts erkrankte sie und rief 
um Hilfe. Melanie, die zu ihr eilte, 
wurde ihre Pflegerin. Die Aufgabe 
war schwierig, aber das unglückliche 
Mädchen verlangte es nicht besser. In 
wenigen Wochen war sie ihrer neuen 
Herrin unentbehrlich geworden. Als 
es wieder Sommer ward, reiste sie 
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Sie wandte sich vom Grabe, ein 
bitteres Lächeln auf den Lippen, ein 
Lächeln, das der bis jetzt noch unver¬ 
standenen Fügung galt, welche die 
Kraft ihres Herzens gelähmt und ihr 
dann die Mittel zu schrankenlosem 
Genießen geboten hatte. 
Ein einstiger Geschäftsfreund ihres 
Vaters, der Miturfache von dessen 
kaufmännischem Ruin gewesen und 
später zu bedeutendem Vermögen ge¬ 
langt war, hatte Melanie kurz vor 
Alt-Gmunden: Der Zillengegcntricb und die Roßbrücke. 
mit ihr nach Deutschland zurück, um 
vierzehn Jahre lang in ihrem Hause 
zu weilen. 
Vierzehn Jahre lang! Das be¬ 
deutete in den Augen der einsam Ge¬ 
bliebenen eine verlorene Jugend, ein 
ertötendes Einerlei häuslicher Ver¬ 
richtungen, die Anfeindung einer 
Schar erblustiger Vettern und Basen, 
und als Entschädigung nicht einmal 
den Lohn eines aufrichtig dankbaren 
Herzens. 
Aber Melanie Hatte es ruhig ge¬ 
tragen. Sie meinte, das Schicksal habe 
ihr den Willen getötet. 
„Wozu nur das alles?" fragte sie 
sich. „Läge ich hier, an Hänschens 
Stelle, es stünde besser um mich." 
seinem Ende zur alleinigen Erbin 
seiner Reichtümer eingesetzt. 
Dieses Ereignis berührte nur ihr 
äußeres Leben. Ehe sie von ihrer 
trostlosen Herrin schied, um sich der 
Ordnung ihrer eigenen Angelegen¬ 
heiten zu widmen, wurde sie durch den 
Heiratsantrag eines ihrer bisherigen 
Feinde aus dem Lager der erblustigen 
Vettern zu vorübergehender Heiter¬ 
keit angeregt. Aber jener Zwischen¬ 
fall vermehrte ihr Mißtrauen gegen 
die Menschen und ihr Verlangen nach 
Einsamkeit. 
In dieser Stimmung faßte sie den 
Entschluß, sich in das stille Städtchen 
zurückzuziehen, wo sie das kurze, ruhe¬ 
lose Glück ihrer Jugendliebe genossen.
	        
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