Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1920 (1920)

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stand auf und schloß das Feilster, als 
störten ihn die Klänge. Paula erhob 
sich und räumte das Geschirr vom 
Tisch, dann nahm sie ihren Nähkorb 
und rückte näher zum Fenster hin. 
„Haben Sie niemals getanzt?" 
„Doch . . als ich jung mar." 
„Wann war das?" 
,Vor zwanzig Jahren." 
Früh übt sich, was ein Meister werden will. 
Eine Zirkus-Produktion. 
„Vielleicht noch vor zehn Jahren?" 
„Ja . . ." sie nickte dabei, glühen¬ 
des Rot zog über ihre Wangen. 
„Ich erinnere mich, daß vor zehn 
Jahren die Rede ging, daß der reiche 
Michael vom Schultenhof eine arme 
Magd heiraten wolle, die auf dem 
Hose bei seiner Mutter diente." 
„Damals hatten Sie gerade die er¬ 
sten Hosen bekommen, Herr Rohne¬ 
feld." 
Paula wußte wohl selbst nicht, wie 
scharf ihre Worte klangen. au 
„Bitte sehr, ich bin über zwanzig kei 
Jahre alt und war damals ein zehn¬ 
jähriger Knabe! Uebrigens sind uns f# 
die Schultenhofer nahe verwandt." 
Paula war still; die Nadel in ihrer 
Hand flog wie der Blitz auf und nie¬ 
der. 
„Ich hörte damals viel davon re¬ 
den, wenn auch der Sinn mir jetzt erst 
klar wird," fuhr Rohneseld fort. 
„Paula, Sie waren es, die der Vetter 
Michael heiraten wollte, nicht wahr?" 
Paula schwieg, aber ihre Augen 
wurden dunkel und tief... es schim¬ 
merte darin wie Tränen. 
„O . . . Sie brauchen sich dieser 
Liebe nicht schämen! Ich weiß, daß 
Vetter Michael Sie sehr geliebt hat .. 
er war damals bei meinen Eltern als 
Gast, ich bewunderte den schmucken 
Einjährigen, wie man als Knaben 
nur einen Soldaten bewundern kann 
und war viel um ihü i. . . er sprach 
von Ihnen zu meiner Mutter und 
sagte viel Gutes zu Ihrem Lobe! Ich 
weiß ferner sehr gut, daß die Tante 
Schulte das Verhältnis gelöst, in 
ihrer Weise natürlich ... sie kannte 
ihren Michael ... sie schickte ihn zwei 
Jahre fort, um sich in der Landwirt¬ 
schaft praktisch auszubilden und — | 
nun ja, zuletzt waren Sie seinem 
Gedächtnis entschwunden, Ihr Bild 
war verblaßt ... er verlobte sich mit 
einem reichen Stadtsräuleiu und hei¬ 
ratete sie mit Einwilligung seiner 
Mutter! Die junge Frau starb nach 
kurzer Zeit — das war als die Schul- 
tebäuerin Sie aus dem Dienst ent¬ 
ließ. Mir ist heute erst vieles klar ge¬ 
worden ... sie fürchtete, daß ihr Mi¬ 
chael wieder zu Ihnen zurückkehren 
würde, nachdem seine Gattin gestor¬ 
ben! Aber die Sorge war überflüssig, 
nicht wahr? Sie hätten den schwäch¬ 
lichen Charakter nicht mehr achten 
können! Ihre Liebe war damals schon 
tot, als er sich mit einer anderen ver¬ 
band."
	        
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