Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1920 (1920)

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Herr nach Belieben dem Bauern ein 
Stück Land wegnehmen und ein an¬ 
deres dafür anweisen,' das geschah 
meistens nicht zum Nutzen des 
Schwächeren. 
Was Wunder, wenn der gedrückte 
Bauer gleichgültig und träge wurde 
und in eine Müßiggeherei verfiel, die 
man zu jenen Zeiten sprichwörtlich 
die „ungarische Krankheit" nannte und 
wenn er nicht daran dachte, sich an 
Stelleseiner elendenHütte eine solidere 
Wohnung zu beschaffen. Der stolze 
Gutsherr natürlich würdigte diese 
Hütten kaum seines Anblickes und 
ließ sich niemals herab, eine derselben 
zu betreten. 
Jlka jedoch, die reiche Magnaten¬ 
tochter, scheute sich nicht, in diese arm¬ 
seligen Hütten zu gehen, aus deren 
Innern einem freilich kein besonders 
erfrischender Geruch entgegenströmte. 
Als Jlka in Erfahrung gebracht 
hatte, daß Stephan zu Hause ange¬ 
kommen sei und schwer krank dar¬ 
niederliege, fackelte sie nicht lange. 
Er war ihr Spielgenosse in den gol¬ 
digen Tagen der Kindheit gewesen. 
Die kleine Jlka hatte mit dem ge¬ 
weckten Söhnchen des Hegers am 
liebsten verkehrt und auch in späteren 
Jahren, als Stephan schon ein eifriger 
Student war, traf man sich in den 
Ferien oft genug. Es bestand zwischen 
der Magnatentochter und dem Stu¬ 
denten Stephan eine treue Jugend¬ 
freundschaft, die um so sicherer stand, 
als man nicht irgendwelche andere 
Neigungen dahinter suchen durfte. 
Sie fühlten sich wie Bruder und 
Schwester. 
Darum aber verging jetzt auch kein 
Tag, wo Jlka nicht längere Zeit in 
dem armen Hegerhäuschen verweilt 
hätte, um den alten Eltern Stephans 
mit Rat und Tat in der Pflege ihres 
kranken Sohnes beizustehen. Jlka 
hatte viele schöne Talente, ihr hervor¬ 
ragendstes aber war das zur Kranken¬ 
pflegerin, zur barmherzigen Schwester, 
und sie ließ es nicht unbenutzt liegen, 
wie wir sehen. 
Jlka war zu jener Zeit schon ver¬ 
lobt. Auf Wunsch ihres Vaters und 
auch der Neigung des eigenen Herzens 
folgend, hatte sie mit dem eleganten 
und reichen jungen Grafen Radany 
die Ringe gewechselt, der sie noch- im 
selben Jahre als sein eheliches Ge¬ 
spans auf sein in einer der schönsten 
Gegenden Ungarns gelegenes Schloß 
heimführen wollte und sollte. 
Die Mutter hatte Jlka früh ver¬ 
loren und ihr Vater, der edel denkende 
Graf Magyarossi, hatte sich nicht wie¬ 
der verheiratet. Er bewahrte der Ge¬ 
fährtin seiner Jugeud ein pietätvolles 
Andenken und lebte mit seinem lieben 
Töchterlein Jlka, das das Ebenbild 
der Toten war, in herzlichster -Liebe 
und Eintracht zusammen. 
Aber griesgrämig war der alte 
Graf keineswegs. Er liebte frohe 
Gesellschaft und gab von Zeit zu Zeit 
glänzende Feste, besonders aber .jetzt, 
wo er seinen zukünftigen Schwieger¬ 
sohn, den Grafen Radany, öfter als 
Gast im Schlosse sah. 
Da ging es immer hoch her im 
Schlosse. Die Menge der Diener eilte 
in kostbaren Livreen geschäftig um¬ 
her. In der duftigen Küche wurden 
die feinsten Gerichte zubereitet, aus 
den Kellern holte man die besten und 
ältesten ungarischen Weinmarken mit 
dem unverletzten gräflichen Wappen¬ 
siegel auf den wohlverlackten Korken. 
Um die Mittagsstunde nahte der 
glänzende Schwarm der Gäste in 
herrlichen Equipagen. Sie wurden 
von den dienstwilligen gräflichen 
Dienern ehrerbietigst empfangen und 
aus den Kutschen gehoben. 
Der Speisesaal und die sonstigen 
Empfangs- und Gesellschaftsräume 
waren mit den kostbarsten Möbeln 
versehen und mit wertvollen Ge¬ 
mälden und Kupferstichen ausge¬ 
schmückt. Die Gäste erschienen sämt¬ 
lich in der kleidsamen ungarischen 
Nationaltracht, wobei die Gewänder 
der Damen natürlich diejenigen der 
Herren noch um ein weites an Pracht 
und Eleganz übertrafen. Weit herab¬
	        
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