Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1920 (1920)

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Osterlegende. 
Von Julius Götz. 
Es war nahe der sechsten Stunde, da 
lief über den Vera Golgatha ein alles 
erfüllender Strom jäher Finsternis. Him¬ 
mel und Erde lagen in einem einzigen 
Dunkel. Nur die drei nackten Leiber der 
Gekreuzigten hoben sich in fahlgespensti¬ 
gem Schimmer aus diesem tiefen, nächtli¬ 
chen Schwarz, das all das Land rings um 
Jerusalem wie mit einer bangniserre- 
Ein schauriger Blitz brach plötzlich her. 
vor, glühte wie feurige Lohe aus der 
Finsternis des Firwawents und zeigte 
für Sekunden in seinem grellen Schein 
wirr zerrissene und verhallte Wolken¬ 
knäuel. Er tauchte den Kalvarienberg mit 
seinen drei blutüberströmten, opferbela¬ 
denen Holzkreuzen in ein weißes, un¬ 
heimliches Licht. Dann rollte der Don- 
Tischlerwerkstätte bei den Missionären in Attigo. 
genden und atemschweren Hülle bedeckte, 
deckte. 
Staub wirbelte auf, und von der 
Richtstätte raste ein furchtbarer Orkan 
talabwärts in die Stadt der Hohepriester 
und Pharisäer: knickte Bäume und Sträu¬ 
cher und brachte drinnen in Jerusalem 
die dichtesten Mauern zum Bersten. 
Der Sturmwind peitschte pfeifend 
Stamm und Laub der nahen Oelbäuwe. 
Blätter wurden los und flatterten gleich 
scheuen und erschreckten Vögeln vor die 
in Furcht verzerrten Gesichter der römi¬ 
schen Legionssoldaten, die auf Geheiß des 
Statthalters unter den Kreuzen die Wache 
hielten. 
ner grollend der Stadt zu. In derselben 
zündete der Blitz nahe beim Tempel in 
ein Haus. Rasch schlugen die gelbroten, 
zuckenden Flammen empor. Und das Pol¬ 
tern und Krachen einstürzenden Mauer- 
werks, das Jammern und das Wehkla¬ 
gen von Menschen drang bis hier herauf 
in die dunkle Banguis des Berges von 
Golgatha. 
Der Hauptmann und seine Soldaten 
kauerten stumm und ängstlich um das 
vom Sturmwind verlöschte Lagerfeuer. 
Vordem hatten sie den „König der Ju¬ 
den", der sich selbst als Gottessohn be¬ 
zeichnete, geschmäht und mißhandelt. Und 
nun wagten sie es nicht -einmal wehr, zu
	        
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