Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1919 (1919)

Wie allt sind die Bauernregeln? 
Kulturgeschichtliche Studie von Dr. Johannes Kleinpaul. 
In jetziger schwerer, ernster Zeit, 
wo jeder glücklich ist, wenn er einen 
Garlen oder ein Feldstückchen hat, ge⸗— 
winnen für eine größere Allgemein⸗ 
heit auch die alten Bauernregeln wie— 
der ein lebhafteres Interesse. Woher 
tammen sie? Was haben sie für 
einen Wert? Wie alt sind sie? 
All diese Fragen sind nicht so 
ohne weiteres zu beantworten. Die 
Bauernregeln sind zum mindesten 
schon solange bekannt, als es gedruckte 
Kalender gibt. Oberflächliche Leser be— 
zeichnen sie als Ueberbleibsel einer 
längst überholten Zeit, für deren alt— 
väterischen, hausbackenen Witz und 
Geschmack „man“ heutzutage nichts 
mehr übrig hat. Andere aber erken— 
nen und schätzen diese anspruchslose 
bolkstümliche Weisheit als lebendige 
Zeugen eindringlicher Naturbeobach— 
tung und der humorvollen Anschau—⸗ 
ungsweise unserer Vorfahren. Frei— 
lich muß man, um das recht zu wür— 
digen, Muße und Gelegenheit haben, 
allen jenen Dingen: Witterung und 
Wetter, Tier- und Pflanzenwelt und 
ländliches Leben — von denen in den 
Bauernregeln die Rede ist, selber mit 
gleich inniger Liebe und Aufmerks am⸗ 
keit nachzugehen; und daran fehlt es 
heute, selbst auf dem Lande, häufig an 
Zeit. Daran läßt sich aber auch schon 
bis zu einem gewissen Grade ermes— 
sen, wie weit die Entstehung der 
Bauernregeln zurückzuführen sein 
mag. Denn zweifellos stammen sie aus 
einer Zeit, in der „man“, das heißt 
die namenlose Masse unseres Volkes, 
in der wir die Urheber dieser Merk— 
sprüche zu erkennen vermeinen, — die 
Wime Muße und Gelegenheit dazu 
jatte 
J 
An den alten Bauernregeln hat 
wohl unser ganzes Volk der Dichter 
und Denker seinerzeit mitgearbeitet. 
Sie sind nicht das Erzeugnis geist— 
reicher einzelner, das bezeugt schon 
ihr Name. Ihr gangzer Reiz, den sie 
jetzt noch für viele unter uns haben, 
beruht gerade auf ihrer natürlichen 
Frische und Ursprünglichkeit. Es ist 
glücklicherweise nie versucht worden, 
uͤber ihre ländlich-bäuerliche Herkunft 
hinwegzutäuschen und ihnen einen 
vornehmeren Stammbaum zuzulegen. 
Auch die schlichte Aufmachung in ge— 
reimter Form ist ein sicherer Zeuge 
beträchtlichen Alters. Daß die Verse, 
im einzelnen betrachtet, sehr ungleich 
in ihrem Werte sind, kann hierbei 
nicht allzuviel besagen. 
Weitere Beweise für ein zum 
Teil sogar sehr erhebliches Alter wer— 
den genauere Kenner der Kulturge— 
schichte unseres Volkes in allerlei tie— 
feren und versteckteren Beziehungen 
erblicken. Da ist zum Beispiel in sehr 
bielen Bauernregeln nicht vom Tage, 
sondern von Nächten die Rede. Die 
Nacht, die den lichten Tag gebar, hatte 
nach der Anschauung unserer Vorfah⸗ 
ren in weit zurückliegender Zeit etwas 
besonders Weihevolles, was heute noch 
manche alte Bezeichnungen in den Ka— 
lendern — und damit auch noch in un— 
serm alljährlichen Erleben — bezeu— 
gen. Wir sprechen von der Christnacht 
Ind von „Fastnacht“, von der Walpur⸗ 
gisnacht, Johannisnacht, Andreas— 
nacht und Silvesternacht, von den 
„Zwölf Nächten“ und noch manchen 
ndern durch alte Ueberlieferung ehr⸗ 
würdigen und geheiligten Nächten! 
Heute noch gelten diese Nächte in un— 
rm Sprachgebrauche vielfach mehr, 
als der ihnen folgende, zum Teil völ— 
lig belanglose Tagl! 
In Verbindung damit wäre als 
weiterer Zeuge hohen Alters auch die 
in den Bauernregeln vielfach zutage 
delende Zahlensymbolik zu erwäh⸗ 
nen.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.