Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1919 (1919)

ge geführt worden, vor einigen Jah— 
ren, als die österreichisch-ungarische 
—R unter der Teuerung und 
Unxegelmäßigkeit der Baumwollpreise 
am meisten litt. Großzügige praktische 
Versuche wurden jedoch erst während 
des Krieges unternommen. Sie fan— 
den unter Leitung des a. o. Prof. Dr. 
Oswald Richter statt, der sie auf Grund 
seiner Erfahrungen über die Freile— 
gung der Nesselfaser erfolgreich in die 
Wege leitete. Die erste Bedingung war 
es, genügende Mengen von Nesselsten— 
geln für großindustrielle Versuche zu 
beschaffen. Die Sammlung der Nesseln 
fand bekanntlich durch österreichische 
und deutsche Soldaten statt. Im Jahre 
1915 wurden 1.3 Millionen Kilogramm 
trockener Stengel eingebracht, die 
Sammlung des folgenden Jahres ergab 
schon ein Quantum von über 3 Millio— 
nen Kilogramm nud in diesem Jahre 
hofft man bei weitem mehr. Nur 8 bis 
105 dieses Materials sind Spiuͤnngut, 
d. i. also für das erste Jahr 130.000 
Kilogramm oder 1300 Meterzentner, 
für das zweite schon über 3000 Meter— 
zentner. Das waren keineswegs Quan— 
titäten, die für den Baumwollbedarf 
in Betracht kämen, aber immerhin er— 
möglichten sie Versuche in großem 
Maßstabe. An daͤesen Versuchen, welche 
sich sowohl auf die Aufbreitung der 
Faser im großen als auf ihre Verar— 
beitung bezogen, haben sich schon zahl— 
reiche Fabriken eifrig beteiligt. Man 
erzeugt großindustriell vorläufig 
Garne aus 90 Prozent Nesseln und 10 
Prozent Baumwolle, die sowohl als 
Schuß wie als Kette verwebt werden 
können. In ihrer Festigkeit entsprechen 
sie sehr festen Baumwollgarnen, die 
Elementarfaser der Nessel aͤst sogar 
fester als die des Leins. Einige öster— 
reichische Fabriken (Schroll, Richter 
KuPick u. a.) erzeugen sogar „Bauern— 
leinen“ aus Nesseln, Leintücher, 
Mannschaftswäsche, Aerzte-Mäntel, 
feldgraue Blusen- und Hosenstoffe 2ꝛec. 
In Böhmen, Sachsen, Westfalen wur— 
den sogar in den dortigen Unterneh— 
mungen große Bestellungen von Fuß— 
109 
lappen aus Nesseln gemacht; auch 
Zocken, Halstücher und Schneehauben 
werden aus diesem Garn hergestellt, 
ferner Auerstrümpfe, weil die Nessel 
ebenso wie die indische Ramte Tho— 
niumsalze aufsaugt. In Bezug auf die 
Aufnahmefähigkeit von Farbstoffen 
übertrifft sogar die freigelegte Nessel— 
faser vielfach die Baumwolle und alle 
heimischen Fasern. 
Zur Textilfabrikation eignen sich 
nicht alle Varietäten der von Botani— 
kern definierten Brennesselspezies — 
es gibt deren etwa 70 — sondern bloß 
vier Arten der Nessel kommen für die 
techntsche Werwertung in Betracht. Als 
die schätzbarste und feinste Sorte gilt 
die indische und chenesische Nessel, die 
„urtica nivea“. Sie stammt aus China 
und Japan; bei uns ist sie nicht winter— 
hart und muß daher zu Beginn der 
kalten Jahreszeit ähnlich wie Rosen 
In russischer Kriegsgefangenschaft. 
Herr Heinrich Huber, Lehrer in Rodaun 
zei Wien, ein gebürtiger Ischler, Sohn des 
Hausbesitzers Andreas Huber in Kaltenbach 
bei Bad Ischl.
	        
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