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Das khreue Mullerherz.
Erzählung von A. Stöhr.
J.
Da mweiß ich irgendwo ein Berg—⸗
dorf. Stillfriedlich liegt es im Tal⸗
grunde, die Häuser stehen ziemlich weit
voneinander ab, dazwischen breiten sich
grüne Anger und laubreiche Obstgär—
ten aus. Ganz nahe neben dem Pfarr⸗
haus steht die Kirche. Um und um
schließt sie der stille Friedhof ein. Ueber
den Gräbern wuchern die blaßroten
Nelken und anderes Zierkraut, und die
eisernen Kreuze schauen fromm auf die
Blumen nieder und auf die Toten un—
ter ihnen, als wollten sie dieselben seg—
nen Die Spahen düpfen und füegen
in dem blütenreichen Geäst der Kasta—
enbaume herum und treiben ihre
Kurzweil, als wäre es gar nicht ge—
weihter Bvdenn.
8 ist überall schön auf dem Fried—
hof, aber dort in der Ecke, wo die Ro—
senlaube soeben ihre ersten Knospen
erschließt, ist ¶an schönsten VSortan
einem mit Blumen reich gepflegten
Grabe kniet ein Mädchen und betet.
Wer wohl unter dem grünen Hü—
gel schlafen mag? Nun da brauchst du
gar nicht lange fragen. Die guté, alte
Mutter Friedmann. Und die auf ihrem
Grabe kniet und betet ist ihre Töchter,
So einem guten Mutterherzen
kann nichts geschwinder ins Grab ver—
helfen, als die Kränkung durch ein
Kind. Und das war Mutter Friedmann
in dem reichsten Maße widerfahren.
Ihr Sohn, der Ludwig, hatte ihr gar
manchen kummervollen Tag bereitet,
er hatte einen Nagel um den andern
in ihr schwarzes Bretterhaus geschla—
gen und als es endlich fix und fertig
war, da hatte sie sich gern hineingelegt.
Sie war ja zu lebensmüde aus Krän—
kung. —
Du kannst es, lieber Leser, gar
häufig sehen, wie bei Kindern, welche
von den Eltern viel Vermögen erben,
der Schmerz um dieselben von gar kur—
zer Dauer ist. Selten geht er über den
Beerdigungstag hinaus. Wie hätten sie
aber auch Zeit um die Eltern zu trau⸗
ern; der Sohn hat ja an die gerichtliche
Inventur, an die Verlassenschaftsab—
handlung, die Tochter an ihre baldige
Verheiratung zu denken, damit sie aus
dem Hause kommt, oder an das Erb—
teil, das ihr der Bruder auszahlen
muß.
Kaum kommt eines vder das an—
dere dazu, zwei⸗ oder dreimal eine hei—
lige Messe für die Verblichenen auf—
zuopfern. So war es auch bei unserem
dndwigg
Die teure Mutter hatte noch kaum
eine Nacht im kühlen Grabe geruht,
als er auch schon von nichts anderem
als von der Testamentseröffnung re—
dete. Er konnte kaum den Tag erwar⸗
ten, an welchem das geschah. Wie
taunte aber die Schwester, als dasselbe
verlesen wurde. Nach demselben fiel
ihr, die sie doch der Augapfel der Mut—
ter gewesen war, nur ein ganz kleiner
pflichtteil zu, während der Bruder, der
der guten Mutter nichts als Leid und
Kummer bereitet hatte, zum Universal—
erben eingesetzt erschien. Dies konnte
unmöglich mit rechten Diͤngen zuge—
gangen sein, sagte Stanzi zu sich, und
so war es auch.
Wie es der Bruder angefangen
hatte, um die Mutter zu einem solch
ungerechten Willen zu bewegen, wie
er's zuwege gebracht hatte, daß sie fast
enterbt worden war, wußte nur der
liebe Gott allein, sie konnte sich's nicht
erklären. Sie konnte nur den Kopf
schütteln und ihrem Staunen Ausdruck
geben. Sogar der Richter nahm An—
stand, das Testament als gültig anzu—
erkennen. Als aber Stanzi durch den
bitterbbsen Blick des Bruders einge—