Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1916 (1916)

Erinnerungen an die Soldalenzeil. 
Frei nach Van Tricht 8. J. von Fr. Parryy. 
Mutter hatte sie alle eigenhändig in 
den Sarg gelegt und geholfen, diesen 
n den furchtbaren Karren zu schie— 
en... 
Noch blieben ihr ein kleines, 
dreijähriges Mädchen und ein Knabe 
bon sieben Jahren ... der kleine Pe— 
ter ... der schönste von allen! Als ihr 
letzter Toter hinausgetragen wurde, 
agte die Mutter zu Peter: „Geh, mein 
gleiner, geh betteln in die große 
Stadt; erzähle, daß dein Vater, deine 
Schwester und zwei Brüder gestorben 
ind, daß noch deine Mutter und deine 
kleine Schwester leben, daß sie aber 
dettelarm sind. Man wird Mitleid mit 
dir haben, armer Junge . „geh, hier 
ist schlecht leben — in dem reichen 
Viertel, da stirbt man nicht ... geh 
nein kleiner Peter!“ Sie umarmte 
hn, und er zog fort. 
Peter bettelte den ganzen Tag, 
und als der Abend kam, eilte er, glück— 
ich über die paar Kreuzer, die er er— 
vorben und die er in den Hädchen er— 
klingen ließ, dem Häuschen zu. Er 
tieß die Türe auf und rief: „Mutter!“ 
.. Keine Antwort . .„das Zimmer 
war leer! . . . Er rief abermals: 
„Mutter! Mutter!“ ... Stille .. Er 
ftieg aͤn das Zimmer des ersten Stock⸗ 
werks .. . alles leer! ... Da fürch— 
tete sich der kleine Peter, als alles um 
ihn so öde blieb; er kauerte sich in 
einem Winkel zusammen und weinte! 
.. Aber die Nacht brach herein, und 
sein Entsetzen wuchs .., er wollte 
nochmals rufen, doch fürchtete er sich 
vor seiner eigenen Stimme, welche 
ohne Echo von den nackten Wänden 
des Zimmers wiederhallte. Wie von 
Sinnen eilte er hinab, als verfolgten 
ihn Gespenster, und stürzte auf die 
Straße hinaus .. Einer seiner klei— 
nen Spielgefährten, der sich vers pätet 
— —— 
gehst du hin, Peter? . .Ich sinde 
meine Mutter nicht, wo ist sie? erwi⸗ 
Die Cholera war über die Stadt 
Eu. .. hereingebrochen und richtete da— 
elbst furchtbare Verheerungen an. Am 
heftigsten wütete sie in den Arbeiter— 
bierteln, in den engen, schmutzigen 
Straßen, in den niedrigen, schlecht ge— 
lüfteten und schlecht gehaltenen Häu— 
sern, welche aneinandergereiht sind, 
ohne auch nur dem kleinsten Gärtchen 
»der selbst nur einem Hofe Raum zu 
geben. Da fand die Cholera den frucht— 
harsten Boden für ihre Verheerungen; 
anerbittlich und grausam wollführte sie 
hr Werk. Jeden Morgen zog ein Kar⸗ 
ren langsam durch die Straßen; aus 
dem einen oder andern der kleinen 
häuser ward ein Zeichen gegeben — 
da hielt eran — und alsbald trug man 
zurch die offene Türe einen aus rohen 
Breitern gezimmerten Sarg — man 
lud ihn eilends auf, und der Fuhr— 
mann fuhr langsam weiter; nach we⸗ 
nigen Schritten wieder ein Zeichen, 
und wieder ein Sarg — und so fort, 
his er vollbeladen war. Der Sarg des 
alten Mannes stieß an den des Kin— 
des, an den der jungen Frau, wenn 
ie, übereinandergehäuft, über das 
holperige Pflaster der Straße fuhren, 
inaus zum Friedhof, wo man sie in 
die gemeinsame Grube versenkte. 
Abends, bei einbrechendem Dun⸗ 
kel, machte der unheimliche Karren 
abermals seine Runde und sJ ammelte 
die neuen Opfer ein. I 
Man weinte nicht mehr, die Trä— 
nen waren aus Entsetzen versiegt. Es 
herrschte dumpfe Verzweiflung, ohne 
Weinen, ohne Geschrei, aber voll 
Schrecken! Totenstille lagerte sich über 
die Lebenden.— J 
In einer dieser armen Arbeiter— 
familien wurde als erster der Vater 
ergriffen und starb nach wenigen 
Stunden . .ihm folgte ein fünf— 
jähriger Sohn, eine dreizehnjährige 
Tochter .., zugleich mit ihr starb ein 
zweiter Sohn mit zehn Jahren. Die
	        
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