Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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schrecklich auch, wenn wir deshalb ihn 
von uns lassen sollten, — ich kann den 
Gedanken nicht ertragen." Sie ver¬ 
stummte, als in diesem Augenblicke ge¬ 
klopft und die Tür geöffnet wurde. 
„Herrgott, Fräulein Meta!" rief 
die Försterin überrascht. „Was ver¬ 
schafft uns so früh die Ehre?" 
„Sie bringen eine Unglücksbot¬ 
schaft von meinem Sohne!" sprach der 
Förster erbleichend und mit sichtlichem 
Erschrecken in das entstellte Antlitz des 
jungen Mädchens blickend. 
Meta Hildberg ließ sich erschöpft 
auf einen Stuhl nieder, sie versuchte 
zu sprechen, aber die Stimme versagte 
ihr; angstvoll legte die Försterin den 
Arm um die zarte Gestalt, während der 
alte Weidmann ein Glas Wasser her¬ 
beiholte und mit zitternder Stimme sie 
leise bat, nur gleich alles zu sagen, was 
sie von seinem Sohne wisse. 
„So, wissen Sie noch gar nichts, 
Herr Förster?" fragte sie kaum hör¬ 
bar. 
„Nein, nein, Fräulein, spannen Sie 
uns nicht länger auf die Folter. Ge¬ 
stern abends war Ihr Vater hier, um 
Sie zu suchen, und mit unserem Sohne 
zu reden." 
„Er war hier?" wiederholte Meta, 
starr vor sich hinblickend, „o wären Sie 
doch mit ihm gegangen, Herr Förster! 
Aber trifft mich denn nicht die meiste 
Schuld bei dem Unglück? Warum ging 
ich fort und ließ den Vater mit Karl 
allein im Tannenforst?" 
„Er hat meinen Sohn und Sie bei¬ 
sammen getroffen? Großer Gott, hätte 
ich eine Ahnung davon gehabt! Erzäh¬ 
len Sie, Fräulein, ich bin auf alles 
gefaßt. — Mutter," wandte er sich zu 
seiner Frau, „du hörst es nachher besser 
von mir, besorge uns mittlerweile ein 
Frühstück." 
„Nein, laß mich alles mit anhören, 
Vater," versetzte die Försterin leichen¬ 
blaß; „ich bin stark und gefaßt, auch 
das Schrecklichste zu hören. Ist mein 
Sohn tot?" 
Meta schüttelte den Kopf und er¬ 
zählte dann mit tonloser Stimme, so¬ 
viel sie von dem Drama im Tannen¬ 
forst wußte. 
Unbeweglich hörten die beiden alten 
Leute die furchtbare Miteilung an. 
„Mein Sohn ist kein Mörder!" 
sprach die Mutter, als Meta ihre Er¬ 
zählung geendet, „was auch vorgefallen 
sein mag, er hat den Gemeinderat nicht 
erschossen. Oder glauben Sie an seine 
Schuld, Meta?" 
„Wie könnte ich das?" versetzte diese 
unter hervorstürzenöen Tränen. „Und 
wenn Karl es selber gestände, ich ver¬ 
möchte doch nicht an seine Schuld zu 
glauben — mein Herz spricht ihn frei." 
Der Förster ging mit starken Schrit¬ 
ten auf und nieder. 
„Wissen Sie nichts Näheres dar¬ 
über, Fräulein Hildberg?" fragte er 
plötzlich stehen bleibend, „hat mein 
Sohn seine Schuld bereits eingestan¬ 
den?" 
„Ich kann Ihnen darüber nichts sa¬ 
gen, Herr Förster. Nachdem ich die 
ganze Nacht hindurch an der Leiche mei¬ 
nes Vaters gewacht, drängte es mich 
hinaus in den Wald, zu Ihnen, denen 
ich den Sohn geraubt." 
„Sie sind mit uns im gleichen Un¬ 
glück verbunden, mein Kind!" sprach 
der Förster traurig. „Wir können und 
wollen Ihnen keinen Vorwurf ma¬ 
chen; nur eins," setzte er mit festerer 
Stimme hinzu, „ist mein Sohn ohn¬ 
mächtig bei der Leiche gefunden wor¬ 
den?" 
„So hörte ich von dem Apotheker 
Odersteöt!" 
„Und wer hat die Unglücksstelle zuerst 
betreten?" fragte der Förster weiter. 
„Der Apotheker Oderstedt also, der 
um ihre Hand geworben hat." 
„Derselbe!" 
Der Förster starrte einige Minuten 
düster vor sich hin und schritt dann 
nach der Tür. 
„Ich muß hinein nach der Stadt, 
um meinen Sohn zu sehen und zu 
sprechen; Gewißheit will ich haben, ob 
und wie er zum Mörder werden 
konnte; er hat stets die Wahrheit ge¬ 
sprochen!"
	        
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