Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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Andere, besser Gesinnte, sagten: 
„Morgen ist Feiertag. Da geh ich 
nicht." 
„Und ich erst recht", höhnte Franz, 
„ich werde mir einen lustigen Tag 
machen ... Und übermorgen ist Sonn¬ 
tag. Also zwei Tage." 
Franz erntete zwar für diese Rede 
von manchem seiner Zechkumpane, die 
ebenso verdorben waren, wie er, Bei¬ 
fall, sich ihm anzuschließen auf seinem 
Ausfluge wagte aber doch keiner. 
❖ ❖ ^ 
Um vier Uhr morgens stieg Franz 
aus dem Tal in die Berge. Beim Auf¬ 
stiege Segneten ihm Leute, die ihn zu¬ 
erst verwundert, dann -ernst anschau¬ 
ten. Sie gingen hinab zur Kirche. Aus 
den fernsten Tälern kamen sie: heut' 
ist Liebfrauentag, da versäumt nie¬ 
mand so leicht die Kirche. 
An einer Wegkreuzung bleibt 
Franz stehen, bis Kirchgänger kom¬ 
men. Er frägt sie nach dem Wege auf 
den Kogel. 
„ Da müßt Ihr da hinabgehen", 
sagt ein stämmiger Bauer, „ da drun¬ 
ten ist die Kirche. Heut' ist der Kogel 
gesperrt für ordentliche Christenleut!" 
Nach diesen Worten -geht der Bauer 
weiter. 
Franz frägt nochmals. Dem Sonn¬ 
tagsschänder gibt man keine anöepe 
Antwort. 
Er flucht über das dumme Volk, 
bis ein Bauer ihm mit wenigen Wor¬ 
ten den Rat gibt, still zu sein. 
Franz geht weiter. 
Beter kommen an ihm vorbeigezo¬ 
gen, sie beten am Kirchgang mitein¬ 
ander den Rosenkranz. Ein Lächeln 
des Spottes liegt auf seinen Lippen. 
Die Kirchgänger werden spärlicher, 
der Arbeiter geht bereits die dritte 
Stunde. Unten liegt das Tal. 
Franz macht Rast. Weit und breit 
kein Haus. Unten steht das Kirchlein. 
Es läuten die Glocken. Franz sieht die 
Leute zum Gotteshause gehen. Ihn 
freut es, den frommen Leuten zum 
Aergernis geworden zu sein. 
Gegen zwei Uhr nachmittags hat er 
das Joch -erreicht. In seinen Gliedern 
fühlt er die Müdigkeit, einen so lan¬ 
gen, starken Marsch ist er nicht ge¬ 
wohnt. Er tritt in die Sennhütte. 
Der Sennbub ist allein zuhause. 
„Was wollt Ihr", sagt er zitternd, 
„heute ist ja Feiertag und die Leute 
sind in der Kirche -unten." 
„Da will ich bleiben." 
Franz setzt sich nieder. Der Bub 
muß ihm Milch bringen und Brot. 
„Ich weiß nicht, wer Ihr seid. Der 
Senn wird schon seine Sache verlan¬ 
gen, wenn's was kostet." 
Der Bnb ging dann hinaus zur 
Weide und blieb bei den Schäflein und 
Ziegen, die seiner Obhut anvertraut 
sind. 
Franz ging zu ihm hinaus und 
fragte ihn: 
„Bnb, wo wachsen die Edelweiß? 
Ich möchte mir heute welche holen!" 
„Die Edelweiß? Die wachsen oben 
am Kogel. Ganz oben auf der glatten 
Seite. Noch drei Stunden von da. Aber 
-der Weg —" 
„Der Weg? Den fürchte ich nicht. 
Du mußt mich hinführen, Bub, heute 
noch!" 
„Nein, heute kann ich Euch nicht 
hinführen. Heute nicht, heute ist Lieb¬ 
frauentag!" 
„Bub, du zeigst mir den Weg, 
sonst—" 
Er drohte mit der Hand. 
„Heut' ist Liebfrauentag, da sind die 
Edelweiß heilig, denn sie gehören der 
Himmelmutter. Am heutigen Tag ist 
sie aufgefahren und Königin Himmels 
und der Erd' geworden und da darf 
ihr niemand ins Königreich gehen, 
sonst ist's Sünde." 
Franz gab dem Buben einen Schlag 
und ging. 
„Aber wenn der Senn kommt!" 
Der Bub hob bei diesen Worten 
drohend die Hand empor. Er war brav 
und fest, ein echter Tirolerbub. 
II. 
Mit seinem nackten Gestein schaute 
der Kogel auf die Alpe nieder, von
	        
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